Die Kunst gesund zu machen

Er öffnete uns die Tür seiner Wohnung in weißem Hemd, mit Fliege unter dem Hals, hinter seinem Rücken sorgfältig geordnete Buchrücken. Vom Balkon mit seinen vielen kleinen feuerroten Blumen wehte ein sommerlicher Duft, auf dem Tisch die geliebten Virginiazigarren. Und in einem solchen, mit Kunst vollbespickten Raum durfte natürlich auch das Klavier nicht fehlen…

Spielen Sie oft?
Manchmal schon, aber inzwischen geht es mir doch nicht mehr so leicht von der Hand wie ehedem. Ich habe gerade eine Handoperation hinter mir und in letzter Zeit habe ich auch gar nicht geübt. In kommunistischer Zeit veranstalteten wir hier bei uns für Freunde Wohnungskonzerte. Dann trafen sich hier Leute, denen wir vertrauten und mit denen wir über alles reden konnten.

Mit der Energie eines jungen Mannes setzt er sich ans Klavier, in seinem Ausdruck sind seine Liebe zur Musik und zum Leben, Zärtlichkeit und Erinnerungen herauszuhören…

Was hören Sie, wenn Sie von Traurigkeit übermannt werden?
In solchen Momenten höre ich das Quintett mit zwei Violas von Franz Schubert. Er hat das eine Woche vor seinem Tod geschrieben, aber es gibt dort auch freudige Momente. Neben Melancholie hört man dort auch Optimismus und Hoffnung.

Und dann gibt es da ein Werk, das mich an das Leben mit meiner Frau erinnert. Komponiert hat es Crisóstomo de Arriaga, ein spanischer Komponist vom Beginn des 19. Jahrhunderts, der mit gerade mal zwanzig Jahren starb. Viele seiner Werke haben sich leider nicht erhalten. Meine Frau hörte häufig seine Drei Quartette.

Halten Sie die Musik für die größte aller Künste?
Ja. Musik verpflichtet einen zu nichts, sie engt einen durch nichts ein. In welcher Absicht ein Komponist sein Werk auch immer komponiert haben mag, der Zuhörer ist frei, seine eigenen Gefühle, Erinnerungen und Emotionen hineinzuprojizieren. Eben aus diesem Grund ist Musik für mich die höchste Stufe der Kunst. Wenn ich eine Wichtigkeitsrangliste der Dinge erstellen müsste, die mir im Leben lieb und teuer waren, dann wäre Jitka, meine Frau, auf dem ersten Platz, gefolgt von der Medizin und der Musik.

Woran denken Sie bei dem Wort Stille?
Eines der großen Phänomene. Stille kann mehr als viele Worte sagen. Ich liebe Stille in Gesellschaft eines guten Freundes. Ich mochte die Stille neben meiner Frau. Oft saßen wir nebeneinander, hörten Musik und hielten uns an der Hand, manchmal drückten wir die Hand dann im gleichen Moment. Nach solchen Momenten der Stille ist es uns hin und wieder passiert, dass wir beide im gleichen Moment dasselbe sagten.

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Sie muss Ihnen sehr fehlen.…
Mich überkommt immer wieder das Gefühl, dass sie neben mir sitzt. Auch jetzt fühle ich, dass sie mich anschaut und hört, was ich antworte.

Gerne würde ich das Buch unseres Lebens schreiben. Nur für uns beide, nicht für die Leute. Vielleicht würde es mir dabei helfen, damit zurechtzukommen, dass ich meine Frau wegen meiner aufwendigen Arbeit vernachlässigt habe und nicht so viel mit ihr zusammen war, wie sie es verdient gehabt hätte. Wir waren wie Zwillinge, wir sind überall zusammen hingegangen und uns dabei nicht von der Seite gewichen. In gewissen Kreisen nannte man uns das bekannteste Paar von Prag.

52 Jahre haben wir miteinander verbracht, davon 52 Jahre als Eheleute. Ich hatte mit ihr ein Gefühl der vollkommenen Sicherheit, des Sich-aufeinander-Verlassen-Könnens. Diesbezüglich bestanden überhaupt keine Zweifel.

Ich kann die Augen von der Dame da auf dem Bild gegenüber nicht mehr abwenden. Der Rahmen von einer orangefarbenen Stola abgedeckt, die Haare zu einem auffälligen Dutt gebunden und ein sehr ruhiger, ein feinsinniger Gesichtsausdruck. Kennen Sie die Geschichte dieses Portraits?
Das ist meine Frau. František Ronovský hatte sie 1972 portraitiert. Ich halte Ronovský für einen der größten Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Achten Sie noch auf das Bild da links, es heißt Eine Rose für Jitka. Anderle hatte es meiner Frau einen Monat vor ihrem Tod gewidmet. Sie feierte damals ihren 75. Gbeurtstag. Ich erhielt dann zum 85. dieses blaue Gemälde, das unter ihm hängt, und das nannte Andrle Jitka und das Unendliche.

Welche Wünsche haben Sie noch?
In meinem Zimmer zu sterben, zwischen meinen Bildern, bei den Klängen der Musik, die ich liebe…

Was würden Sie einem, der Sie überhaupt nicht kennt, von sich sagen? Wer sind Sie?
Ein absolut normaler und braver Mann. Mein ganzes Leben habe ich mich um kranke Kinder gekümmert und versucht, die Bedingungen für ihre Behandlung zu verbessern.

Dieser Artikel ist entstanden mit der Unterstützung von Martin Ducháček.

Josef Koutecký
Arzt, Pädagoge, Schriftsteller und großer Kunstliebhaber. Professor Josef Koutecký, Gründer der Kinderonkologie in der Tschechoslowakei. Durch seinnen Verdienst sank die Sterblichkeit von Kinderpatienten mit Krebserkrankungen. Während früher die Sterbequote bei 97 % lag,  liegt sie heute bei 83 %. Er ist nicht nur Autor von Fachpublikationen, sondern auch von reizenden Kinderbüchern.

Text Kateřina Černá a Karin Zadrick Foto Karin Zadrick

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