48 Stunden in Liberec: Die Stadt mit einer reichen Geschichte, in der auch bei Regen vieles zu tun ist

Hundert Kilometer von Prag entfernt und noch näher an Polen und Deutschland liegt Liberec in den Ausläufern des Isergebirges. Die Regionalstadt ist mit 100 000 Einwohnern die fünftgrößte in der Tschechischen Republik und ist durch ihre Lage an der Grenze dreier Länder gekennzeichnet – geografisch, historisch sowie auch technisch.

Die Stadt wurde als Ausgangspunkt einer Handelsstraße an der Neiße gegründet, die von Böhmen in die Lausitz führte, später in Preußen mündete und noch später zum Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland wurde, ohne ihren Verlauf zu ändern. Die älteste erhaltene schriftliche Erwähnung einer Stadt namens Reichenberg stammt aus dem Jahr 1348; als dort die Schrift eingeführt wurde, gründete Karl IV. eine Universität in Prag. Die 120 Kilometer, die die beiden Orte trennen, waren damals viel länger als heute. In der nachungarischen Zeit gelangte die Stadt in die Hände von Albrecht von Wallenstein, nach dessen Tod fiel sie an die Familie Clam-Gallas.

Das Clam-Gallas-Erbe

Die sensiblen Besitzer hinterließen Liberec und seiner Umgebung viele Dinge, die dem oberflächlichen Auge verborgen bleiben: Jagdreviere, das reizvolle Schloss in Frýdlant, den ältesten zoologischen und botanischen Garten in den böhmischen Ländern und das ehemalige Franziskanerkloster im nahen Hejnice. Dort befindet sich auch das Grab des letzten männlichen Nachkommens der Familie, Graf Franz Clam-Gallas, der 1914 die Ehrenbürgerschaft von Liberec erhielt, um dann von der Geschichte an den Rand des Gedächtnisses verbannt zu werden, so wie seine Landsleute geografisch verbannt wurden. Im Jahr 2018 hat die Stadt diese historische Ungerechtigkeit zumindest symbolisch wiedergutgemacht, indem sie im neu geschaffenen Clam-Gallas-Park im Zentrum ein Denkmal errichtet hat.

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Um Liberec richtig genießen zu können, braucht man einen gewissen Sinn für trockenen Humor. Trocken, weil alles andere nass sein wird: Die Region Liberec trägt den stolzen Titel des regenreichsten Ortes in der Tschechischen Republik. Jahrzehntelang war es das Dorf Bílý Potok in der Region Frýdlant, bis vor zehn Jahren dieses Privileg auf die andere Seite des Gebirges, nach Smržovka, verlegt wurde. Wenn Sie achtundvierzig Stunden in Liberec verbringen wollen, müssen Sie damit rechnen, dass es etwa fünfzig davon regnen wird.

Die Geschichte lebt weiter

Aber das ist nur der Anfang aller Paradoxe, die einem Besucher in Liberec auffallen. Die Dominante der Innenstadt ist das Neorenaissance-Rathaus, das durch den Nachbau eines echten Renaissance-Rathauses aus dem nahen Leipzig entstanden zu sein scheint; nur der Architekt Franz Neumann hat es dabei etwas geschrumpft. Die Zugehörigkeit zur deutschen architektonischen Tradition mit ihrer Vorliebe für blumige Monumentalität (für die der einzigartige deutsche Ausdruck „Prachtvoll“ so gut passt) wird hier mit Stolz anerkannt. Die Ironie der Zeit ist jedoch, dass heute das Rathaus von Liberec auf dem Dr.-Beneš-Platz steht, der die Nachkriegsträger dieser Tradition über die deutsche Grenze verbannen ließ.

Paradoxien funktionieren hier aber auch umgekehrt. Vier Kilometer vom Rathaus entfernt, in Vratislavice nad Nisou (heute ein Stadtteil von Liberec), steht die Brauerei Konrád. Die Besitzer leiten ihren Namen von König Konrad I. von Masowien, der im 13. Jahrhundert regierte und möglicherweise ein Přemyslide war. Es ist nur ein Zufall, dass die Stadt ihren Namen mit Konrad Henlein teilt, einem Mann, der als Politiker der Ersten Republik (und später als Gauleiter von Liberec) noch in lebhafter Erinnerung ist. Der überraschende – wenn auch sicher falsche – Eindruck einer Ehre für einen verdienten Nazi wird noch dadurch verstärkt, dass Henlein aus Wrocław stammt; nur am Ende des 19. Jahrhunderts hieß das Dorf Maffersdorf.

Verkehr

Aber wir sollten uns nicht in der Geschichte verstricken. Was Liberec an Symbolik fehlt, macht es durch die Möglichkeiten seiner Bewohner wett. Es wurde von der Überwindung von Entfernungen gesprochen – und in der Tat sind die Liberianer Meister darin. Der örtliche Textilunternehmer Baron Theodor Liebieg der Jüngere besaß bereits Ende des 19. Jahrhunderts den ersten Führerschein in den böhmischen Ländern und war später maßgeblich an der Herstellung der Präsidentenkutsche in Kopřivnice beteiligt. Auch der revolutionäre Konstrukteur Ferdinand Porsche wurde hier geboren.

Darüber hinaus verfügt Liberec heute nicht nur über ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz (es hat die meisten Gleismeter pro Einwohner aller tschechischen Städte), sondern auch über eine Linie ins benachbarte Jablonec. Dies ist die eine Seite der Stadt; auf der anderen Seite können Sie mit der Straßenbahn zum architektonischen Merkmal der Stadt, dem Ještěd, fahren. Der dortige, in den 1960er Jahren errichtete Turm vereint die Funktionen eines Hotels, eines Fernsehsenders, einer Orientierungshilfe für Bergwanderer und einer Seilbahnstation (nicht nur) für Skifahrer. Wo sonst kann man mit der Straßenbahn praktisch bis zu den Pisten fahren?

Und wen die Berge nicht reizen, der kann das ebenso reiche Angebot unter dem Dach nutzen: Neben dem bei Kindern beliebten Wasserpark gibt es auch den EKOpark, den IQ-Park und die IQlandia – ein Augenöffner für die Kinder und eine Erinnerung an alles, was man in der Schulzeit verpasst hat. So ist gar der Regen; leicht zu vergessen.

Aquapark Babylon Liberec

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