Wilhelm von Boddien vor dem Berliner Schloss, dessen Rekonstruktion ihm zu verdanken ist. Foto © Jan Juri Reetz, Berlin.
Das Schloss steht jetzt. Wäre es nicht ein “Nice to have“ die ”Gigantentreppe” im Schlüterhof wieder aufzubauen?
Wir bringen im Herbst mit dem Berliner Extrablatt eine ganz besondere DVD heraus, ihr Titel: „Wir träumen weiter“. Dort zeigen wir das Schlossumfeld, wie wir uns das vorstellen, das Schloss in parkähnliches Grün eingebettet, dann gelangt man in den Schlüterhof und von dort direkt in das Treppenhaus, mit der berühmten Gigantentreppe von Andreas Schlüter. Sie ist die Vervollkommnung der Hofarchitektur und war in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Entstehung offen wie es solche Treppenhäuser in Italien sind, ohne Fensterverglasung. Man versteht den Hof nur im Zusammenhang mit dem Treppenhaus. Hier ist heute der Skulpturensaal, der exakt dieselben Grundmaße hat. Eine Rekonstruktion ist ohne baustatische Probleme möglich, auch ohne Eingriffe in die Museumsstrukturen, der Raum steht für sich.
Die ”Gigantentreppe” im Schlüterhof.
Mit der heutigen Politik und der Stiftungsleitung ist das allerdings nicht zu machen.
Aber es gab ja auch eine Zeit, in der wir das ganzes Schloss wiederaufbauten, obwohl uns alle Leute einen Vogel gezeigt haben, aber die Politik dafür zu gewinnen war. Und diese Zeit kommt auch wieder. Wir bleiben am Ball. Das Schloss wurde vor über 70 Jahren gesprengt, jetzt ist es auf einmal wieder da – kommt es dann bei der Treppe auf zehn Jahre an? Die Treppe kostet wegen Ihrer großartigen Kunst noch einmal über 20 Millionen Euro, davon sind bereits Zweidrittel fest zugesagt. Ich sammle aber noch kein Geld, sondern nur Zusagen. Geld darf nicht gesammelt werden, solange politische Entscheidungen ausstehen. Man muss auch Frau Grütters verstehen, die sagt: „Bis auf Weiteres will ich die Treppe nicht einbauen. Nun lasst uns doch erstmal fertig werden mit dem Bau und das Haus in Betrieb nehmen. Zunächst ist es wichtig, dass die Leute sich dran gewöhnen können und das Haus nicht weiterhin voller Dauerbaustellen ist.“ Wir sind bereits deutlich im Verzug, weil das Haus viel zu spät fertig geworden ist. Es sollte 2019 eröffnet werden.
Anstelle dem Publikum ein Work-in-Progress anzubieten, wünscht die Kulturstaatsministerin Frau Monika Grütters keine Baustellen nach der Eröffnung am Haus.
Sie sagte: „Bis auf weiteres“, ein „Nie!“ habe ich von ihr nicht gehört.
Sie sagt doch, dass es die Abläufe stören würde. Frau Viola König, die frühere Direktorin des Ethnologischen Museums, wollte in den für ihre Sammlungen vorgesehenen Sälen gar keine Schlossanmutung, sondern überall diese nicht mehr zeitgemäßen White Cubes.
Die hat sie ja auch bekommen, im Inneren ist das Schloss nüchtern-modern. Man sollte allerdings beachten, dass Architektur nur dann Bestand hat, wenn sie eine besondere, große Architektur ist, sonst überdauert sie keine zwei Generationen. Im Zentrum einer erfolgreichen Stadt hält sich nur große Architektur! Schließlich ändert sich die Gesellschaft immer wieder und damit auch der Zeitgeschmack. Wenn allerdings die Nutzung des Hauses sich ändert, dann muss es diese ohne große Umbauten erhalten, sonst wird abgerissen. Daher gilt die Regel: Große Außenarchitektur überlebt Generationen, wenn sie als solche anerkannt wird, innere Architektur muss vielseitig nutzbar sein! Und Architekt Franco Stella hat seine Räume so geschaffen, dass sie auf vielfältigste Weise nutzbar sein können. Sie sind nicht verpflichtet, darin auf Hunderte von Jahren ein Ethnologisches Museum zu unterhalten. Das hat Stella wunderbar erfüllt. Sie könnten irgendwann sogar von den 60 historischen Prunkräumen, die das Schloss hatte, über 50 rekonstruieren, ohne viel Beton wegzustemmen oder statisch einzugreifen. Der Raum für die Schlütertreppe zeigt augenblicklich als Skulpturensaal alte Figuren des verlorenen Schlosses, ohne dass die Raumkubatur dafür geändert wurde. Der Kasten als solcher existiert maßgenau auch für die Treppe. Man muss beachten: Änderungen erfolgten an allen historischen Bauten durch fast alle Generationen.
Und das wurde von Beginn an antizipiert.
Wir haben sogar in der Decke zum Schweizersaal, wo die Treppe in der Planung die Decke nach oben durchbricht, Betonfelder nach der Art eines Airbags im Armaturenbrett eingebaut, ohne dass sich nach Herausnahme und Neubau der Treppe statische Mängel ergeben werden. Ein Beispiel: In Venedig steht die Kopie des Campanile, der Glockenturm des Markusdoms, der alte Turm ist 1906 eingestürzt. Warum? Man wollte einen Fahrstuhl einbauen, hatte aber festgestellt, dass massenhaft Eisen im Weg ist, was allerdings der Statik des Turmes geschuldet war. Davon hat man zu viel entfernt und so den Turm zum Einsturz gebracht. Heute können Sie mit dem Fahrstuhl hochfahren, der Turm ist eine Kopie des alten, nur mit modernem Interieur.
Genauso ist es beim Schloss. Wir könnten später, in Generationen, die verschiedensten historischen Räume wieder einfügen, zum Beispiel könnten wir den berühmten Teesalon von Schinkel am selben Ort und im selben Format rekonstruieren, ohne viel wegzustemmen. Aber die Zeit ist noch nicht reif dafür, das sollen spätere Generationen entscheiden. So haben wir mit dem Schlossbau einen Prozess auf Weiterbau gestartet und übergeben die Entscheidungen dazu an die nächsten Generationen. Politisch haben wir mehr erreicht, als wir uns erträumten. Wir haben fast überall die Optionen eingebaut, so dass später keiner sagen kann: „Oh Gott, die haben uns ja alle Möglichkeiten zum Weiterbau genommen.“
Der Bau hat ja einiges fürs Auge zu bieten und nicht überall scheint die Begegnung der barocken Renaissance mit den modernen Anbauten des Architekten Franco Stella gelungen. Im Schlossforum etwa, mit modern gestalteten Fassadenlängen, wirken die viereinhalb mal schmaleren barocken Seitenportalwände eingeklemmt. Da kollidieren zwei Stile miteinander.
Schauen sie doch mal bitte auf die vorherigen Fassaden an, da wo Stella jetzt seine neue Fassade errichtet hat, das war ursprünglich eine alte Bruchsteinmauer des Quergebäudes, so wie bei Burgen, unverputzt und hässlich. Schlüter hat seinen Hof nur zu Dreivierteln gebaut, als dem König das Geld ausging und er starb. Der Hof ist rudimentär geblieben. Erst Kaiser Wilhelm I. hat diese Bruchsteinwände mit Neorenaissance-Stuck versehen lassen, wie bei einer Berliner Mietskaserne, das sah schrecklich aus. Ich bin sehr glücklich über Stellas glatte Fassade, weil sie dem Barock nicht seine Wirkung nimmt. Was vorher war, hat den Bau zerstört.
Das ist so ähnlich wie die Diskussion um die Friedrichswerdersche Kirche, an die die neuen Gebäude viel zu dicht herangeführt sein sollen, sie wirkt jetzt fast wie eingemauert. An unserem historischen Stadtmodell, das jetzt im Schloss in der Touristeninformation steht, sehen sie, dass die modernen Häuser dieselben Proportionen haben wie die alten. Deswegen hat Schinkel ja auch den ganzen Schmuck der Kirche oben aufs Dach gesetzt und die Seitenwände einfach ziegelsteinglatt gelassen. Durch die Beseitigung der alten Umbauung durch die DDR hatte man das vergessen, und nun regen sich einige Leute ahnungslos darüber auf.
Zwei Stile – Barock und Moderne – treffen im Schlossforum aufeinander.
Ein Farbunterschied doch mindestens, den hätte ich mir dort gut vorstellen können, dass man die Stella-Neubaufassade etwas dunkler eingraut, denn wie bei einer überbelichteten Fotografie brennen die neuen Fassaden von den Seiten über die Schlüterschen im schmalen Hof.
In zwei, drei Jahren hat das Haus bereits eine Patina angesetzt. Die Farbgebung oben im 2. und 3. Geschoss ist genau dieselbe, wie bei Schlüter; dort ist unten Sandstein und hier hat man den gleichen, sandsteinfarbenen Sichtbeton gemischt, das ist optimal. Nun warten wir mal ein paar Jahre ab, dann ist der Schlüterhof nicht mehr so neu, dann sieht alles so aus, als ob es schon immer so gewesen wäre. Das hat uns auch bei der Kommandantur, in der Bertelsmann sitzt, zunächst so erschreckt, die da schneeweiß stand, wie ein Fremdkörper. Sie ist inzwischen grau und normal geworden, oder besser, wir haben uns an ihr Aussehen gewöhnt.
Als Berliner, der viel in der Stadt unterwegs ist, habe ich den Bau des Schlosses sukzessive verfolgt und das profane Betonskelett mit Fensterausschnitten wie bei einem modernen Blockbau wachsen sehen. Nach Fertigstellung muss man bekennen, dass trotz Dämmung und Plywood ein wundervoller Bau gelungen ist, denn das Wesentliche, die sichtbaren Oberflächen, bis zu den sandsteinernen Zierstücken, Portalen und Aufsätzen, prangendem Kupferdom und Bronzeengeln, alles wirkt so echt. Hätten Sie sich dennoch im Ganzen mehr Handwerkstreue und weniger Fake gewünscht?
Ich sag Ihnen eins, Sie finden nicht ein einziges Fake im Schloss. Die historischen Fassaden entsprechen zu 99,5% exakt den Alten. Wir haben ja sogar die Bausünden späterer Bauherren, die das Haus umgebaut haben, nachgebaut. Die Wohnung von Friedrich Wilhelm I. zum Lustgarten – das merkt keiner richtig – wurde zu seiner Zeit mit anderen Fenstern ausgestattet, weil der Soldatenkönig die Gicht hatte und fror, wenn er vom Schloss aus im Lustgarten seinen Langen Kerls beim Exerzieren zuschaute. Dafür wurde ihm eine Warmluftheizung in seine Räume eingebaut. Dadurch rutschte der Fußboden höher und er hätte aus dem Fenster fallen können, weil keine Brüstung mehr da war.
Nach dem Einbau der Brüstung, die Sie auch heute rechts vom Portal IV sehen, war es ihm zu dunkel, weil die Fenster dadurch zu klein wurden, worauf man diese Fenster nach oben in den Sturz reinsägte und nur noch schmale Steinstürze obendrauf legte. Die riesigen Schlusssteine, bei den Schlüterfenstern nach Osten in derselben Fassade sichtbar, waren ursprünglich auch in den Fenstern seiner Wohnung zu sehen. Es war unser Ehrgeiz, maßgenau das Schloss so nachzubauen, wie es auf seinen Fotos noch bis 1944 zu sehen war und es erstaunt die Denkmalpfleger, dass wir das geschafft haben. Wir kämpften ja immer gegen die Behauptung, es sei ein Fake, und wir haben es den Leuten bewiesen, es ist kein Disneyland.
Der Bau des Schlosses. Foto: Facebook / Wiederaufbau Berliner Schloss.
Fortsetzung folgt am 22. August
Wilhelm von Boddien, einer der letzten Kulturbürger alter Schule, hat fast ein halbes Leben für den Wiederaufbau des von Krieg und Kommunismus zerstörten Berliner Stadtschlosses gekämpft, das am 20.07.2021 nach achtjähriger Bauzeit Eröffnung feierte.
Stephan Schilgen, unser Experte für Berliner (Sub-)Kultur und Design, hatte die Ehre, den Visionär einen Tag danach zu interviewen. Es ist ein langes und gehaltvolles Gespräch geworden, weshalb wir uns dazu entschlossen haben, es in vier Kapiteln auf die nächsten Ausgaben zu verteilen.