Das Berliner Schloss: Disneylandkulisse oder tröstende Stadtreparatur? (TEIL IV.)

Interview mit Wilhelm von Boddien, über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, dessen Rekonstruktion ihm zu verdanken ist. Welche Wirkung soll dieses Schloss für Berlin haben?

Wilhelm von Boddien vor dem Berliner Schloss, dessen Rekonstruktion ihm zu verdanken ist. Foto © Jan Juri Reetz, Berlin.

Die nächste Frage soll persönlich sein, ist aber nicht weniger an ein übergeordnetes Verständnis von Geschichte und Politik gerichtet: Herr von Boddien, was sagt es über ein Land aus, wenn es zur Wiederherstellung eines solch wichtigen Stückes Geschichte der Initiative eines Privatmannes bedarf?

Ich glaube, das ist völlig normal. Dieses Land ist immer zuerst durch Privatinitiativen groß geworden, weil der Staat in erster Linie dazu dient, das Land gesetzlich zu ordnen und zu verwalten. Das Genie eines Einzelnen ist auch durch Hunderte von Beamten und Angestellten nicht zu ersetzen, die Ideen, die Kreativität und das Engineering kamen immer von einzelnen Persönlichkeiten. Aktuell bestes Beispiel ist der Impfstoff von Biontech. Der Staat konnte ihn nicht entwickeln, allenfalls die Entwicklung finanziell fördern und ihn dann schließlich bestellen und verimpfen. Selbst große Politik wird von einzelnen Persönlichkeiten gestaltet. Denken Sie an unsere erfolgreichen Bundeskanzler: Wenn Brandt keine Ostpolitik gemacht hätte, oder Adenauer mit seiner frühen Entscheidung, unser Land in den Westen einzubinden, damit die Sowjets uns fernbleiben, dann gäbe es das wiedervereinigte Deutschland in Freiheit nicht. Die Initiativen dazu kommen von Einzelnen. Die Masse ist immer dafür da, so was abzusegnen oder zu sagen: „Alles blöd“.

Welche Wirkung soll dieses Schloss für Berlin haben?

Vermutlich leben wir zu intensiv in einem kurzlebigen Zeitgeist und geben diesem zu viel Raum. „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird schnell Witwer!“ sagte schon Kierkegaard. In dieser Zeit müssen wir uns Sorgen machen über Bildung und Ausbildung unserer jungen Leute, weil wir zulassen, wie Aktionen von eindeutigen Minderheiten zur Gendersprache, zu Delete Culture und andere begonnene Zersetzungen die Axt an die Wurzel unserer großartigen Kultur legen. Sie haben am 20. Juli auch die Krakeeler im Lustgarten gehört, die paar Männlein, die da standen und den Palast der Republik wiederaufbauen wollen. Das gehört zu Demokratie, wird aber über die Medien leicht viel zu bedeutend gemacht.

Die Aufnahme von 1900 zeigt die Das Stadtschloss mit Eosanderportal und das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal. Foto: Wikimedia

Für die Kindererziehung gibt es einen ganz wichtigen Satz, und der beinhaltet eigentlich alles: „Gib den Kindern Wurzeln, dann wachsen ihnen Flügel.“ Das heißt, ein Kind, dem man die Kultur seiner vielen Vorfahren nicht nahebringt und es dafür begeistert, fühlt sich heimatlos und ist nur noch Teil einer Smartphone-Generation, hackt drin rum und konsumiert. Aber es ist elementar, dass wir die junge Generation dahin führen, auch Respekt vor bestimmten Leistungen der Vergangenheit zu haben, denen sie nacheifern sollten, anstelle nur Gegenwärtiges zu konsumieren. Wie sollen die Kinder selbst kreativ werden, wenn alles nur noch auf Konsum angelegt ist? Dann werden sie Papas Geld ausgeben, haben aber selber nichts verdient und eines Tages macht uns China zum Entwicklungsland, weil der Mercedes längst in China gebaut wird und weil wir keinen Nachwuchs an kreativen und gründlich ausgebildeten Ingenieuren mehr haben. Auch dafür, für die Rückbesinnung auf großartige Leistungen früherer Generationen steht das Schloss – und nicht zuletzt dafür, dass wir immer noch in der Lage sind, diese Kunstfertigkeiten auszuüben.

Wenn mit den Schlossfassaden ein wenig barocke Schönheit in die Stadt zurückkehrt, können wir junge Menschen inspirieren und zum Nachdenken bringen darüber, ob es nicht in alten Zeiten auch etwas positiv Erlernbares gab, das wieder zu Neuem führen kann, wie Ihre Blow-Up-Idee vorhin.

Vielleicht darf ich Ihnen noch eine Sache erzählen, die weiß ich von Joachim Fest, der ist ja nun lange tot, dem damaligen FAZ-Herausgeber…

Der diesen wundervollen Text über die Schinkelschen Sichtachsen zwischen Schloss und seinem großzügigen Umfeld verfasst hat?

Genau, Anfang der 2000er Jahre, als er noch lebte, erzählte er: Zu ihm nach Kronberg kam seine 13jährige Enkelin für einen 14-tägigen Sommerferienaufenthalt bei den Großeltern. Und zu Anfang, er war damals Chef des Feuilletons, wollte er mal hören, was weiß das Mädchen eigentlich über unsere Literatur und fragte: „Sag mal, was weißt du vom Erlkönig?“ Und sie antwortete: „Erlkönig, was ist das denn? Keine Ahnung.“ Da meinte er: „Die Ballade von Goethe und Zelters Balladenmusik,“ und hat ihr das vorgespielt auf einer CD. Und davon war sie tief beeindruckt. Zu seiner Freude hat sie ihm am Ende dieser 14 Tage die Ballade in wunderbarer Schönheit auswendig deklamiert. Er war tief gerührt. Jetzt aber kommt die Pointe, er erzählte weiter: Die Kinder müssen nach den Sommerferien in der Schule im Deutschunterricht ihre Sommergeschichte erzählen: „Mein schönstes Ferienerlebnis.“  Als sie rankam, sagte sie: „Für mich war das schönste Ferienerlebnis die Begegnung mit dem Erlkönig bei meinem Großvater.“ Da fragte der Lehrer: „Mit wem bitte?“ „Na ja, mit dem Erlkönig von Goethe und der Vertonung der Ballade von Zelter“. Darauf hat der Lehrer sie in den Arm genommen und gesagt: „Ihr armen Dinger, was man Euch heute noch alles zumutet!“

Lachen

Ja, die Geschichte ist aber wahr.

Ich lache drüber, weil es so schlimm ist.

Da fasst du dir an den Kopf.

Eine Katastrophe.

Und deswegen dieser Satz: Gebt ihnen Wurzeln, dann wachsen ihnen Flügel. Man hat gesehen, dieses Mädchen war zu begeistern, sie war neugierig.

A Propos, wie war der Tag gestern? (Eröffnungsfeier des Schlosses, Anm. der Redaktion)

Ich habe mich, glaube ich, gestern recht gut geschlagen, es haben die wenigsten gemerkt, dass ich einen kleinen Schlaganfall hatte, glaube ich jedenfalls.

Super, Sie hatten sicher eine hohe Begegnungsrate und mussten viel sprechen?

Ostfassade des Humboldt-Forums. Foto: © Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum

Ich war auch erledigt, als ich abends wieder in die Klinik zurückfuhr. Man hatte mir dort für dieses Ereignis einen Tag Urlaub gegeben. Die wussten, ich werde sonst erst richtig krank, wenn ich nicht dabei sein kann.

Dann hatte das noch was Erlösendes für den Moment. Haben Sie sich daran gestoßen, dass Sie nicht geredet haben?

Anfänglich schon, aber dann hat der liebe Gott mich ja aus dem Verkehr gezogen. Wissen Sie, wenn man einen Schlaganfall hatte, sollte man Zurückhaltung üben. Schlaganfall ist ja ein Hirninfarkt, bei dem ein Teil des Gehirns abstirbt. Und die Ärzte haben mir gesagt, übernehmen Sie sich nicht, noch ein Schlaganfall und Sie sind tot. Und das wäre natürlich nicht so prickelnd, nicht?

Es gibt ja noch ein Event im September.

Ja, da redet der Bundespräsident, das wird wahrscheinlich streng reglementiert sein, weil da das Bundeskriminalamt aus Sicherheitsgründen entscheidet, wieviel Leute reingelassen werden, das war bei der Grundsteinlegung auch schon so. Und wenn der Bundespräsident redet, gibt es allenfalls einen Moderator, der ihn einführt und der ihm dann dankt, denn man darf dem Bundespräsidenten nie die Schau stehlen, dafür ist sein Amt für uns alle zu wichtig. Er ist ein Freund von uns, er ist ein Schlossfreund, das hat er auch bewiesen mit einer Dankesrede anlässlich der digitalen Spendertage im letzten November. Die war wirklich nobel.

Er fing damit an, dass es nicht üblich sei, dass der Bundespräsident „Danke“ sagt. Aber hier gäbe es ein Ereignis von so einer Großartigkeit, dass er jetzt doch danken wolle. Damit würdigte er die unglaubliche Leistung unserer Spender, die mit über 105 Millionen Euro die Schlossfassaden ohne zusätzliche Barzuschüsse aus Steuergeldern finanzierten. Alleine schon das tut nach allem, was ich an Anfeindungen erlebte, richtig gut.


Wilhelm von Boddien, einer der letzten Kulturbürger alter Schule, hat fast ein halbes Leben für den Wiederaufbau des von Krieg und Kommunismus zerstörten Berliner Stadtschlosses gekämpft, das am 20.07.2021 nach achtjähriger Bauzeit Eröffnung feierte. 

Stephan Schilgen, unser Experte für Berliner (Sub-)Kultur und Design, hatte die Ehre, den Visionär einen Tag danach zu interviewen. Es ist ein langes und gehaltvolles Gespräch geworden, weshalb wir uns dazu entschlossen haben, es in vier Kapitelnn.


Frühere Teile: I. II. III.

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