Wir haben gewarnt, aber Berlin hörte nicht zu

Der Tschechische Botschafter in Deutschland Tomas Kafka
Warum hat Putin beschlossen, den Krieg gegen die Ukraine vom Zaun zu brechen? In jüngster Zeit vernimmt man häufig die Meinung, einer der Gründe sei gewesen, dass der Westen versagt habe – auch, weil er die Erfahrungen des Ostens oder, besser gesagt: Mitteleuropas mit Russland ignoriert habe. Wenn es künftig anders wäre und der Westen sich mehr vor allem von Polen und Balten sagen ließe, dann könnte die Lage nicht nur auf dem ukrainischen Kriegsfeld, sondern auch im Westen eine andere sein.

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Vielleicht sogar eine bessere. Es mag sogar sein, dass es nicht einmal zu dem grausamen Krieg gekommen wäre. 

Das Ausmaß der westlichen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen war zweifelsohne viel zu groß und daher auch unverantwortlich. Doch da der Westen tatsächlich eine große Transformation seiner Wirtschaft wagen und es darüber hinaus finanziell auch erschwinglich halten wollte, darf man sich nicht wundern, dass das billige russische Gas dem Westen einfach allzu attraktiv schien. Es ging ja um nichts Geringeres, als den Planeten vor dem klimatischen Armageddon zu bewahren. Befürchtungen über Russland waren in diesem Kontext, na sagen wir, verhältnismäßig überschaubar. Denn im Unterschied zum Klima lässt sich mit Russland doch verhandeln! 

Und so lässt sich denn erklären, warum der Westen um Verständigung mit Russland so bemüht war. Trotz mancher Illusionen würde ich jedoch nicht von einer gänzlich naiven Einstellung sprechen. Vielleicht wollte der Westen – auch als eine Geste des guten Willens nach dem Ende des Kalten Krieges –  nur demonstrativ seine Angst vor Russland ad Acta legen. Oder er hatte für diese Angst einfach keine freien Kapazitäten mehr. Der deutsche Politologe Kai Olaf Lang stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Hauptunterschied zwischen Deutschland und Polen darin bestünde, dass Polen sich vor Russland und sonst gar nichts fürchte, wogegen Deutschland sich vor allem, aber nicht vor Russland fürchte. 

Ich fürchte, dass Angst und deren „Export“ zwischen den Partnern keine begehrte Kommodität ist. Der Westen, wie bereits erwähnt, fühlte sich nach dem Ende des Kalten Krieges aufgeklärt genug, um zu verzeihen und nicht zu vergessen. Leider aber vergaß er eben doch, und er vergaß etwas Zentrales: Er vergaß seine Angst vor Russland. Diesen Luxus konnte sich Mitteleuropa nicht leisten. Für Mitteleuropa blieb Russland ein geopolitisch naher Nachbar, der zudem in nahezu allen Ländern Mitteleuropas bis in die jüngste Vergangenheit noch ein brutaler Besatzer gewesen war. Mitteleuropa konnte einfach nicht vergessen. Und es schaffte auch nicht zu verzeihen. Deshalb kamen seine Warnungen vor Russland im Westen aber nicht als rational genug, als nicht mehr zeitgemäß. 

Russland blieb– den Warnungen aus Mitteleuropa zum Trotz – für den Westen exotisch. Eventuell ist es auch die Art Exotik, für die traditionell die russische Literatur gehalten wurde. Jedermann im Westen wollte gerne seinen „Dostojewski“ lesen, jedermann wollte sich bei der Solzhenitsyn Lektüre vor dem Gulag grausen. Für westliche Leser ging es dabei aber nur um Geschichten aus einem fernen, europäischen Haus. Kontakte mit der russischen Wirklichkeit wollte jeder Leser für sich unbedingt unter Kontrolle halten. Kontrollierte Abenteuer – darin besteht doch das Wunder der Exotik! Doch wehe bloß, wenn die Exotik zur Alltäglichkeit wird. Übrigens, ein deutscher Schriftsteller sagte mir in den 90er Jahren, dass das Interesse für russische Literatur deutlich im Zuge der deutschen Vereinigung abgekühlt war. Westdeutschland bekam für kurze Zeit nebst den neuen Bundesländern auch russische Soldaten, die dort stationiert waren. Das Interesse für russische Literatur stieg erst nach dem Abzug des letzten russischen Soldaten wieder an.

Mit der Erfahrung der unmittelbaren Einschüchterung kann keine Informationspolitik wetteifern. Es ist schön, dass der Westen nun seine einstige „Russland“ Politik als mangelhaft betrachtet. Ich würde es gleichwohl nicht als Versagen seitens des Westens bewerten. Russland blieb zwar Russland, es hörte nur auf exotisch zu sein. Die tschechische Gesellschaft erlebte diese Ernüchterung nach dem Einmarsch im Jahre 1968. Der tschechische Poet Jiri Pistora schrieb zu diesem Thema ein kleines Kindergedicht: Der eine lebt in der Steppe unter trockner Klette/ der andere in Filzstiefeln unter einer Kiefer/ der dritte sich verkroch in sein Steppenloch/ mögen sie doch bleiben/ wo sie sich so treiben/ wo sie leben so gern/ bloß bleiben sie uns fern! Was kann man sonst dem Westen sagen? Herzlich willkommen im Club? Dass die Angst vor Russland nicht unbedingt ein schlechter Ratgeber sein muss? Egal. Es wurde schon genug geredet. Es kommt nun darauf an, gemeinsam zu handeln und Russland in seine Schranken zu weisen. Die nun schon gemeinsame Erfahrung zeigt, dass es für uns alle besser ist, wenn Russland uns fernbleibt!

Dieser Artikel wurde bei Welt.de veröffentlicht und wird mit freundlicher Genehmigung des Autors wiedergegeben

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