Wilhelm von Boddien vor dem Berliner Schloss, dessen Rekonstruktion ihm zu verdanken ist. Foto © Jan Juri Reetz, Berlin.
Teil I.
Herr von Boddien, am 20.07.2021 fand mit zweijähriger, teils coronabedingter Verspätung, die Eröffnung des Berliner Schlosses statt. Wie fühlen Sie sich nach diesem großen Ereignis? Ihr Entschluss, sich dem Wiederaufbau des Schlosses zu widmen, liegt immerhin 30 Jahre zurück, was biografisch gesehen eine lange Zeit ist.
Ja, ich fühle mich unglaublich glücklich, weil ich mein Lebensziel verwirklichen konnte. Das hat lange gedauert, aber ich habe nie Zweifel gehabt, dass ich es nicht schaffen würde, weil immer im richtigen Moment Freunde da waren, die mir geholfen haben.
Seit 1991 war das Schlossprojekt eine Lebensaufgabe, die Verzicht und Einsatz forderte. Was geschah mit jenem Leben bis dato, mit Ihrem Landmaschinenhandel, mit Ihrer privaten Existenz, all dies musste von da an zurücktreten. Wie war diese Erfahrung?
Wissen Sie, der Alte Fritz hat gesagt: „Der Tag hat 24 Stunden und wenn er nicht reicht, nehme ich die Nacht dazu.“ So verrückt bin ich nicht, aber ich habe natürlich oft durchgearbeitet, auch am Wochenende. Und dazu habe ich eine Frau, die nicht von mir unterhalten werden will, sondern die mich loslässt und sagt: „Mach mal“. Wenn sie mir eine Sache verbietet, sagt sie: „Dir dies zu verbieten, hat keinen Sinn. Dann machst du gleich eine andere Sache“. Das war die familiäre Seite, und da wir fünf Kinder und jetzt 15 Enkel haben, ist meine Frau auch ausgelastet, und wir brauchen uns nicht gegenseitig als Entertainer, das ist entscheidend.
Die andere Sache war mein Landmaschinenhandel: Ich musste im Jahre 2003 meine Firma abwickeln, mit einer Insolvenz, weil mein Hauptlieferant Deutz-Fahr von der Deutschen Bank kein Geld mehr bekam – die bauen bei Deutz heute nur noch Motoren und keine Traktoren. Das Label wurde damals nach Italien weiterverkauft. Plötzlich stand ich da als Händler ohne ein Produkt, das die Bauern haben wollten. Im Gegenteil, das Schlossprojekt war für mich in der Zwischenzeit fast zu einer Art Ventil geworden, Dampf abzulassen, zur Schonung meiner Mitarbeiter. Ein Chef mit Existenzangst macht alle nervös, wenn die Geschäfte nicht mehr laufen. Wenn Sie so etwas bewältigen müssen, kann ich Ihnen nur sagen, entsteht mit der Zeit eine gewisse Gelassenheit und dann macht Ihnen auf einmal alles wieder Spaß. Dieses dauernde Pro und Contra, das ist eine Herausforderung, wie bei einem Schachspiel mit einem gleich guten Gegner, das muss man unbedingt gewinnen.
Das neu rekonstruierte Schloss mit dem Fernsehturm im Hintergrund. Foto: Friedbert Fischer.
Das Humboldt Forum soll im „Dialog der Gleichwertigkeit der Kulturen“ einen Großteil des Schlosses mit außereuropäischen Exponaten bespielen, nur so konnte das Projekt politisch durchgesetzt werden. In der Fortsetzung der Idee der Museumsinsel wurden das Asiatische und das Ethnologische Museum aus Dahlem in die Mitte Berlins gebracht. Stimmen Sie der These zu, dass die Entscheidung für eine „Gleichwertigkeit der Kulturen“ auch die deutsche Kultur hätte einschließen sollen, womit sich Wege ihrer Einordnung in die Welt eröffnet hätten? Stichwort Identitätsfindung.
Das war ein kommunikativer Fehler. Die Museen, Asien und Ethnologie, beinhalten nicht nur die altmodisch gewordene Völkerkunde, sondern sie beinhalten vor allem ganz große Kunst fremder Kontinente. Wir konnten das erleben, als diese große, außereuropäische Kunst in das Bodemuseum kam und zusammen mit der großen Kunst Europas ausgestellt wurde. Europäische Skulpturen des Mittelalters wurden mit afrikanischen und asiatischen Skulpturen aus der gleichen Zeit zusammen ausgestellt. Da war plötzlich der Gleichklang aller erkennbar, denn alle alte Kunst richtet sich nach dem Menschen und dem Götterbild, jede Kultur interpretiert das anders, das bringt die Spannung.
Das ist eine geistige Herausforderung, ähnlich wie beim Metropolitan Museum of Art in New York, wo Sie in kürzester, fußläufiger Entfernung vergleichende Studien zu den unterschiedlichsten Weltkünsten anstellen können. Also, ich wehre mich dagegen, diese großartigen Kunstwerke des Ethnologischen und des Asiatischen Museums als Völkerkunde abzuwerten. Sie sind weit mehr, sie sind beste Kunst dieser Länder. Die Museumsinsel wird so zu einem Weltmuseum!
Spannung bringt auch die Polarität zwischen dem Gedanken Schloss und Humboldt Forum, Schloss ist die Form, Humboldt Forum der Inhalt, das Schloss ist das Außen, Humboldt Forum das Innen, Schloss ist Deutsche Identität und Forum ist Internationalität, man hat den Eindruck, das sei politisch so gewollt.
Nein, absoluter Widerspruch. Das Schloss ist die Reparatur des Stadtbildes Berlins, mehr nicht. Und wir haben es auch nur aus jenem Grund wiederaufgestellt, damit das Zeughaus, der Dom und das Alte Museum wieder das sind, was sie früher waren… bis hin zur Oper. Wir haben die Residenz optisch wiederhergestellt, und den bestehenden Gebäuden ihre Würde zurückgegeben. Die hätten sie verloren, weil sie sich alle auf das Schloss kaprizierten.
Für mich ist der Wiederaufbau des Schlossäußeren zum einen die Stadtreparatur und zum anderen ist es im Inneren eben ein völlig modernes Gebäude mit modernster Museumstechnik. Ich kann nur den berühmten Generaldirektor des Louvre, Pierre Rosenberg, zitieren, der gefragt wurde: „Da gibt es Leute in Berlin, die wollen das Schloss wiederaufbauen mit einem modernen Museum darin, aber so ein Museum muss außen wie innen zeitgenössisch sein, sonst ist es doch rückständig.“ Daraufhin sagte er: „Ich verstehe Ihre Frage nicht“ „Ja, aber man kann doch nicht das Alte Schloss nehmen und …“, darauf er: „Ich kann Ihnen nur sagen, ich führe das modernste und bedeutendste Museum Frankreichs, mit Weltgeltung, im feudalsten Schloss Frankreichs, nämlich dem Louvre. Also, wo ist das Problem?“
Denn, wenn man drin ist, sieht man nur die modernen Räume und nicht das Äußere. Das Äußere sehen Sie drinnen nicht, daher wird das Innere in einer anderen Weise wahrgenommen. In Berlin wurde das Äußere des Schlosses zur Stadtreparatur und das Innere ist eines der modernsten und großartigsten Museen, die wir je gebaut haben.
Ausstellungsraum des Humboldt-Forums. Foto: Ernstol, Wikimedia.
Sie haben mit Ihrer Initiative eine neunstellige Summe für die Gestaltung der Fassade, diverse Portale und für die Kuppel des Berliner Schlosses realisiert. Es fehlen noch Mittel, um möglichst viel der originären Anmutung des Königlichen Schlosses wiederherzustellen.
Es ist so, dass wir die gesamte Fassade, alles was an Kunstwerken aus statischen Gründen eingebaut werden musste, einschließlich der Schlüterhoffiguren und 3,5 Millionen Ziegelsteinen mit gesammelten 105 Mio. Euro finanziert haben. Jetzt brauchen wir nochmal 8 Mio. ungefähr, um die fehlenden 27 Balustradenfiguren obendrauf zu stellen, das kann man jederzeit nachträglich mit einem Autokran machen, während man eben die Teile, die fest eingebaut werden, nicht nachrüsten kann. Dann haben wir noch die Ausbauten von Portal V und IV auf der Lustgartenseite, das Vestibül von Portal IV ist ja noch im Rohbauzustand, auch die sind in dieser Summe enthalten. Wenn wir dies gesammelt haben, haben wir unsere Arbeit geschafft, dann ist alles fertiggestellt, was jetzt möglich war. Aber das ist jetzt, wenn man so will, nur noch die Schlagsahne auf dem Kuchen, der Kuchen jedoch ist fertig.
Sind die 8 Millionen bereits in der Beauftragung?
Nein, in diesen Wochen finden noch weitere Gespräche mit der Stiftung dazu statt. Wir zahlen erst nach der Zusage, dass alles so wie geplant gemacht wird. Unsere Spenden sind zweckbestimmt. Es wurden keine weiteren Figuren in Auftrag gegeben, aber wir stehen kurz davor.
Sie wollen diese Komplettierung auch weiter vorantreiben?
Ja, das muss sein, weil die Figuren oben auf die Balustrade draufgehören. Sonst sieht doch alles unvollkommen aus!
Fortsetzung folgt am 15. 8.
Wilhelm von Boddien, einer der letzten Kulturbürger alter Schule, hat fast ein halbes Leben für den Wiederaufbau des von Krieg und Kommunismus zerstörten Berliner Stadtschlosses gekämpft, das am 20.07.2021 nach achtjähriger Bauzeit Eröffnung feierte.
Stephan Schilgen, unser Experte für Berliner (Sub-)Kultur und Design, hatte die Ehre, den Visionär einen Tag danach zu interviewen. Es ist ein langes und gehaltvolles Gespräch geworden, weshalb wir uns dazu entschlossen haben, es in vier Kapiteln auf die nächsten Ausgaben zu verteilen.