Eine gut verborgene Legende. Nachruf auf die Fußballlegende Gerd Müller von Botschafter Tomáš Kafka.

Gerd Müller ist tot. Die Fußballwelt hat am Sonntag, den 15. August, im Alter von 75 Jahren einen ihrer zeitlosen Helden verloren, der zumindest mit einer symbolischen Schweigeminute hätte geehrt werden sollen, wenn… Wenn diese Welt nicht so sehr von aktuellen Toren, Sekunden und fabelhaften Leistungen fasziniert wäre, dass sie keine Kapazitäten mehr für echte Legenden hat.

Gerd Müller (links) im Jahr 1974 mit Franz Beckenbauer und Trainer Helmut Schön (rechts). Foto: Verhoeff, Bert / Anefo (Wikimedia)

Doch Gerd Müller, der westdeutsche Bomber, der König der Torschützen bei der WM 1970, der beste Fußballspieler Europas im selben Jahr und der Weltmeister von 1974, hat auf ähnlich einzigartige Weise Fußballgeschichte geschrieben wie beispielsweise Pelé oder ein anderer Brasilianer, Garrincha, mit dem ihn nach seiner Profikarriere ebenfalls ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag verband.

“Ich kann nicht mehr als ein Schnitzel essen“

Für die echten Fußballfans im Allgemeinen und die Fans des (west-)deutschen Fußballs und des FC Bayern München im Besonderen verkörperte Müller neben seiner Torgefährlichkeit auch menschliche Qualitäten wie Loyalität und Bescheidenheit und wird dies hoffentlich auch weiterhin tun. Denn welcher anderer Fußballer in Müllers Position hätte das auch getan und ein lukratives Engagement aus Barcelona, das Müller in den 70er Jahren ein sagenhaftes Gehalt von 600.000 Mark im Jahr anbot, mit der Begründung abgelehnt, dass er sowieso nicht mehr als ein Schnitzel am Tag essen würde und deshalb bei seinen geliebten Bayern bleiben würde? Es gibt nicht viele Fußballer, die so sind.

Es ist daher erfreulich, dass “sein“ Bayern in den 1980er Jahren zu Müller stand, einer Zeit seines Niedergangs, als er in seiner Schüchternheit und Labilität zunehmend – wie der bereits erwähnte Garrincha – Unterstützung im Alkohol suchte. Im Gegensatz zu Garrincha, der die Hilfe der brasilianischen Fans nicht in Anspruch nehmen konnte, etablierte sich Müller unter dem Schutz seiner ehemaligen Mannschaftskameraden und weitaus besseren Geschäftsleuten, Franz Beckenbauer und Uli Höness, bei den Bayern als lebenslanger Stürmertrainer, Jugendtrainer oder lebende Legende, die den Besuchern in den VIP-Logen von den glorreichen Zeiten des Vereins erzählte. Nach einiger Zeit wurde die Idylle des Vereins jedoch durch eine heikle Krankheit getrübt, als der legendäre Torjäger an Alzheimer erkrankte.

Die Bomben von Vinnetou

Möglicherweise war der Tod für Gerd Müller so etwas wie eine Erlösung. Aber seine Fans können keine so einfache Lösung finden. Gerd Müller erinnerte seinerzeit mit seinem Auftreten und seiner Fähigkeit, zu begeistern – schwarzes, etwas längeres Haar, ein leicht südländischer Charme gepaart mit der Leidenschaft für das Spiel – an einen anderen Helden seiner Zeit: den französischen Schauspieler Pierre Brice als unsterblicher Vinnetou. Im Gegensatz zur eleganten Vinnetou war Müllers Schauspielstil freilich nicht elegant. Seine Art, den gegnerischen Sechzehner zu erobern, ist legendär: Er bricht, leicht vorgebeugt, zum Tor in die gegnerischen Reihen ein, um sich dann in einem unbewachten Moment geschickt um die eigene Achse zu drehen und mit einem unhaltbaren Schuss an die Latte oder unter die Querlatte ein Tor zu schießen. Ein solcher Stil wird in der Regel nicht mehr frenetisch beklatscht.

Vielleicht ist das der Grund, warum Gerd Müller keine Nachahmer oder Anhänger unter den heutigen Fußballern hat. Doch sowohl Müller als auch Brices Vinnetou verkörperten das Märchen eines neuen, wiederbelebten und durch und durch westlichen Deutschlands, das nicht nur nicht mehr zu fürchten ist, sondern das man bejubeln und genießen kann, auch wenn man selbst nicht unbedingt deutsch ist. Von ihnen besiegt zu werden, war keine Tragödie, sondern in gewisser Weise eine Ehre. Sie haben Fußball und die Filmkunst vor allem zu einem Spiel gemacht. Pierre Brice ist kürzlich in seine ewigen Jagdgründe eingegangen. Jetzt folgt ihm Gerd Müller in die ewigen Sechzehn und ehrt sein Andenken!


Tomáš Kafka ist der tschechische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Er war der erste tschechische Direktor des Tschechisch-Deutschen Zukunftsfonds in Prag. Später war er Botschafter in Irland. Neben seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst schreibt er weiterhin Gedichte, Rezensionen, Kolumnen, Briefe und politische Artikel. Daher die langjährige Zusammenarbeit mit der Wochenzeitung Respekt und den literarischen Zeitungen und die Bemühungen um die Vermittlung tschechischer Autoren in den deutschsprachigen Raum. Gelegentlich übersetzt er, vor allem aus der deutschen Lyrik.

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