„Berlin hat mich vom ersten Moment an durch seine Atmosphäre und Ungebundenheit fasziniert. Es ist eine Stadt, in der alle auf ihre Kosten kommen“, erzählt Soňa Schumann, die erstmals als Studentin mit Erasmus in die deutsche Metropole kam. Sie begann dort begeistert, die hiesige Klubszene und das Nachtleben zu erkunden. Die gelernte Deutschlehrerin kehrte später nach Deutschland zurück und legte in den Berliner Clubs als DJ auf. Damals fiel ihr jedoch im Traum noch nicht ein, dass die Stadt einmal ihre Heimat werden könnte.
Das kam ungeplant, als sie 27 war. Damals wollte sie ursprünglich nur für drei Monate nach Berlin, um den Kopf frei zu kriegen, und sie mietete sich ein WG-Zimmer. „Damals hatte ich mich gerade von meinem Freund getrennt und war in so einer Phase, in der ich nicht wusste, was ich tun soll. Meine Arbeit machte mir auch keinen Spaß. Ich sagte mir, ich brauche etwas Veränderung und neue Impulse, und eine Freundin reagierte darauf: Dann fahr doch nach Berlin, oder?“, erinnert sich Soňa an die spontane Entscheidung.
Damals war sie Freelancerin, sie arbeitete für eine Musik-Website und veranstaltete in Prag als DJ Sonja regelmäßig House-Partys. In Berlin klapperte sie daher die örtlichen Clubs ab und lud auch neue DJs zu ihren Events in Prag ein. „Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass ich in Tschechien im DJ-Bereich alles erreicht hatte, was ging, und sagte mir, dann versuch ich eben, mich in Berlin durchzusetzen. Aber die Szene dort ist die beste der Welt und diese riesige Konkurrenz zu besiegen, ist fast unmöglich“, erinnert sich Soňa, die zwar in einigen Berliner Clubs spielte – aber das Schicksal hatte etwas anderes für sie vorgesehen.
„Auf einer Party lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen – Mathias. Und wegen dem bin ich schließlich in Berlin geblieben“, erinnert sie sich und fügt hinzu, dass das erste Jahr in Berlin überhaupt nicht leicht für sie war. Auch als studierte Deutschlehrerin hatte sie anfangs große Probleme mit der Sprache. „Für mich war es nicht wirklich angenehm, zum Beispiel mit Behörden zu telefonieren, manchmal bat ich meine deutsche Freundin, für mich anzurufen. Auch wenn ich gut deutsch konnte, war es für mich schwer, das alles auf einmal in einer Fremdsprache zu erledigen. Das erste Jahr in Berlin war anspruchsvoll, ich war sehr einsam“, erinnert sich Soňa, die gleich am Anfang ihres Aufenthalts auch ganz andere Probleme lösen musste.
Sie wurde nämlich ungeplant schwanger. „Das war lustig, weil mir meine Ärztin nämlich gesagt hatte, dass ich auf natürliche Weise keine Kinder kriegen kann“, sagt sie und gibt offen zu, dass die Schwangerschaft für sie ein großer Schock war und sie sogar über einen Schwangerschaftsabbruch nachdachte. „Ich konnte aber den Arzt nicht erreichen, was ich als Zeichen nahm, dass ich es nicht tun soll. Außerdem wünschte sich mein Freund Mathias Kinder sehr und versprach, sich vorbildlich zu kümmern, was er auch tat. Er ist ein großartiger Vater“, sagte die DJane, die in Berlin ihren Sohn Mark auf die Welt brachte und den Vater des Kindes heiratete. Die junge Familie ließ sich in Friedrichshain nieder, wo Mathias ein Fahrradgeschäft betrieb.
Auf den ersten Blick eine Familienidylle. Soňa war darin aber nicht glücklich, und es erwartete sie ein weiterer Richtungswechsel. Nach einem Jahr trennte sie sich von ihrem Mann, und auch die Mutterschaft erfüllte sie nicht, woraus sie kein Geheimnis macht. „Ich habe meinen Sohn sehr gern, aber die Mutterrolle ist nichts für mich, ich würde das nicht nochmal machen. Das ist überhaupt keine Erfüllung für mein Leben. Das ist ein riesiges Tabu und etwas, was ich in Tschechien überhaupt nicht offen sagen könnte. Aber hier in Berlin kann ich darüber geradeheraus sprechen“, sagte Soňa aufrichtig und fügt im gleichen Atemzug hinzu, dass ihr gerade diese Offenheit und Toleranz so sehr an der deutschen Metropole gefallen.
Sie bekennt, dass ihr auch der Berliner Brauch, bald nach der Geburt, z. B. nach einem Jahr, wieder in den Beruf zurückzukehren, sehr gefiel. „Den klassischen tschechischen dreijährigen Elternurlaub kann ich mir nicht vorstellen. Früher habe ich das meinen tschechischen Bekannten nicht gestanden, heute rede ich offen darüber,“ sagt Soňa, deren Sohn mit anderthalb Jahren zur Tagesmutter ging. Soňa begann, sich nach einer Arbeit umzusehen. Als studierte Deutschlehrerin wusste sie zunächst nicht, was sie mit ihrer Qualifikation anfangen sollte. Ihr Problem wurde durch die Flüchtlingskrise 2015 gelöst. „Ich fand Arbeit bei einer Sprachschule und half den Flüchtlingen bei der Integration in Deutschland. Ich wurde zu einer Ausländerin, die Ausländern Deutsch beibringt – was in Berlin normal ist, wie ich feststellte. Meine Kolleginnen waren Polinnen und Ungarinnen,“ erzählt Soňa, die in der Sprachschule auch an verschiedenen interessanten Projekten im Ausland beteiligt ist. Sie absolvierte zum Beispiel ein mehrmonatiges Programm in Vietnam, wo sie Vietnamesen Deutsch beibrachte, um sie auf ihren Arbeitsaufenthalt in Deutschland vorzubereiten.
Soňa kann sich jetzt nicht mehr vorstellen, irgendwo anders als in Berlin zu wohnen. Auch, weil es so eine tolerante und benevolente Metropole ist. „Hier kann jeder er selbst sein. Man kann zum Beispiel einen Kartoffelsack anziehen, und allen anderen ist das egal“, fügt die Frau hinzu, die noch immer für die Musik lebt. Die bleibt ein Hobby, und nach einer mehrjährigen Pause legte sie zum Beispiel vor Kurzem im berühmtem Golden Gate auf. Ihren DJ-Traum gibt sie nicht auf. In Berlin ist übrigens alles möglich, und Partys sind bei weitem nicht die Domäne der Jugend. Im Gegensatz zu Prag treffen Sie hier zum Beispiel auch Menschen im Rentenalter. Selbst da bricht die Stadt Vorurteile und Tabus.
Und wie nimmt Soňa die gedachte Mauer zwischen Deutschland und Tschechien wahr? Es stört sie, wenn sie sich von Freunden in Tschechien anhören muss, dass sie in Deutschland auf großem Fuße lebe, und sie ärgert sich auch über bestimmte Kommentare von Tschechen zur Flüchtlingskrise. Die Deutschen sind ihrer Meinung nach kosmopolitischer und offener, aber begreifen wiederum den spezifischen tschechischen Sinn für Humor nicht. „Mich überrascht manchmal, wie wenig die Deutschen über uns wissen, obwohl wir gleich nebenan leben. Daher freut mich immer, wenn die Deutschen wissen, dass Prag auf Tschechisch ‚Praha‘ heißt und wenn sie auf Tschechisch Bier bestellen können.“