SPD-Chef Olaf Scholz. Foto: Shutterstock
Es gab jedoch eine Überraschung: Die SPD unter der Führung von Olaf Scholz erhielt nach den vorläufigen Ergebnissen die meisten Stimmen, wenn auch nur knapp. Aber ist er der wahre Gewinner? Die gleiche Frage würde sich stellen, wenn die CDU/CSU gewonnen hätte. Wer regieren wird, das wird jedoch jemand anderes entscheiden. Das heißt, die zweite Liga – die FDP und die Grünen. Angela Merkel, derzeit immer noch die populärste Politikerin des Landes, hat (leider) ein totales Chaos hinterlassen.
Die Fernsehbilder zeigen, dass der SPD-Chef Scholz zu feiern scheint, während sein CDU-CSU-Rivale Armin Laschet mit einem heruntergefallenen Kamm davonläuft. Erhielt Merkel vor fünf Jahren 33 Prozent der Stimmen für ihre Partei, so musste sich der sonst joviale Laschet heute Morgen mit seinen knapp über 24 Prozent zufriedenstellen.
Das letzte Mal, dass die CDU ein so schlechtes Wahlergebnis erzielte, war 1949. Andererseits: In den Umfragen der letzten Wochen kam Laschet nur auf rund 20 Prozent. Er hat also tatsächlich verloren – nicht verloren.
CDU/CSU-Chef Armin Laschet. Foto: Shutterstock
Bei Olaf Scholz ist es genau das Gegenteil. Die Umfragen sehen die Partei seit langem bei 20 Prozent, zeitweise sogar darunter, und doch hat dieser Politiker (und Finanzminister in Merkels Regierung) einen überraschenden Erfolg erzielt. Er hat es im wahrsten Sinne des Wortes “aus dem Park geklopft”. Fragen wir die Geschichte noch einmal, ob dieser Triumph glorreich oder unrühmlich ist. Letzteres ist richtig. Das vorläufige amtliche Ergebnis von 25,7 Prozent ist das drittschlechteste Ergebnis für die SPD in der Nachkriegszeit. Der “Sieger” hatte vor allem deshalb Grund zum Feiern, weil er der Schaufel des Totengräbers entkam.
Welcher der beiden Hauptkonkurrenten wird die Regierung bilden? Das wird von jemand anderem entschieden. Nämlich von den Grünen unter der Führung von Annalene Baerbock (das vorläufige Ergebnis von fast 15 Prozent ist das höchste, das sie je erreicht haben) und der FDP (etwa 11,5 Prozent). Die einen stehen der SPD näher, die anderen der CDU. Es ist daher überraschend, dass FDP-Chef (und persönlicher Freund von Laschet) Christan Lindner nach der Wahl Verhandlungen mit den Grünen aufnehmen will. Es scheint, als ob es zu der “Ampel” oder “Jamaika” nach ihrem Treffen bald kommen sollte.
Die Ampel
Die Koalition aus Roten (SPD), Gelben (FDP) und Grünen. Es gibt nur eine theoretische Alternative dazu, nämlich “Dunkelrot” (SPD+Grüne+Linke), aber die extreme Linke liegt mit 4,9 Prozent knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Einzug in den Bundestag ist trotzdem sicher, da die Partei drei Direktmandate errang. Auch so ist der Verlust der Linken eine der ermutigendsten Nachrichten von dieser Wahl, da die Linke beim letzten Mal fast 10 Prozent erreichte.
Die zweitbeste Nachricht ist, dass die extremistische AfD nur rund 10 Prozent erhielt, ein Drittel weniger als vor vier Jahren. Sie hat praktisch nur in Sachsen und Thüringen, der ehemaligen DDR, gepunktet. Und die Linke? Mit diesem Wahlergebnis würde es nicht reichen, um eine dunkelrote Mehrheit zu bilden.
Aber das die so genannte Ampel ist im Spiel und wird wahrscheinlich noch lange im Spiel bleiben. Die Grünen und SPD sind sich verdammt nahe, es ginge darum, was man der FDP anbieten könnte, damit sie ihre Rolle als traditioneller CDU-Verbündeter aufgibt (zumal sich Lindner und Laschet so gut verstehen). Die Linksparteien müssten große Zugeständnisse machen, aber ihr Wille zur Macht ist so stark, dass sie diese Zugeständnisse in aller Stille machen werden – sie werden die Vermögenssteuer vergessen, sie werden die Enteignung von Wohnungseigentümern vergessen, sie werden die Steuern für Unternehmen nicht erhöhen und sie werden bereit sein, auf die Schuldenbremse zu treten.
Jamaika
Die Grünen, CDU (traditionell schwarz) und FDP (Gelb) – wie die Flagge eines mittelamerikanischen Landes. Zu diesem Zeitpunkt hat Laschet genau die gleichen Chancen eine Regierung zu bilden wie der Sieger Scholz. Nicht nur mit der FDP, sondern auch mit Baerbock ist Laschet nicht schlecht befreundet. Sicher ist, dass er den Grünen viele Zugeständnisse machen müsste, was die FDP natürlich verärgern würde.
Er wird sie wahrscheinlich beschwichtigen, indem er Lindner (FDP) den CDU-Sitz als Finanzminister anbietet – aber die Ampel könnte dasselbe tun. Die Karten werden auf die komplizierteste Weise ausgeteilt, die man sich vorstellen kann. Die traurige Nachricht für “Jamaika” ist auch, dass die Öffentlichkeit die Ampel will – 55 Prozent der Deutschen bevorzugen laut Umfragen eine Regierung unter Scholz, während nur 36 Prozent der Bürger Laschet als Kanzler wollen.
Außerdem müsste Jamaika vom Parteitag der Grünen gebilligt werden, deren Vertretung und Wählerschaft eher links orientiert ist. Der Preis, den die CDU und FDP für Jamaika zahlen müssten, scheint hoch zu sein – vom Tempolimit auf der Autobahn über die Einführung eines Mindestlohns, die Legalisierung von Cannabis, die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft bis hin zur Beschleunigung des Kohleausstiegs vor 2038.
Warum geht Angela?
Außerdem hat Armin Laschet nicht die Unterstützung aller seiner Parteifreunde. Es stellt sich die Frage: Warum verlässt Angela Merkel freiwillig ihr Amt als Bundeskanzlerin, wenn sie keinen würdigen Nachfolger gefunden hat (Laschet lachte beispielsweise während der Live-Übertragung der Rede von Bundespräsident Steimeier aus den von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Dörfern in die Kamera), weiterhin die beliebteste Politikerin ist und die meisten Deutschen sie gerne weiter in der Regierung hätten?
Nur sie weiß es. Auf jeden Fall werden sich die Nachwahlverhandlungen so lange hinziehen (das scheint sicher), dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die nächste Neujahrsansprache noch von Angela Merkel als Kanzlerin gehalten wird. Sie wird damit den Rekord ihres Vorgängers und Mentors Helmut Kohl brechen – 16 Jahre im Amt.
GroKo
Wir haben vergessen, die letzte mögliche Variante der zukünftigen Entwicklungen zu erwähnen. Dies ist die Fortsetzung der GroKo, d.h. der “großen Koalition” (CDU+SPD). Denn das war das Ergebnis der sechsmonatigen Regierungsverhandlungen 2017-2018, als “Jamaika” in letzter Minute scheiterte. Wie wahrscheinlich ist eine solche Entwicklung? Nicht viel, sagen die deutschen Kommentatoren. Aber warum, das wissen nur sie. Es gibt keine unüberwindbaren Hindernisse zwischen den beiden Konkurrenten (Scholz und Laschet).
Die beiden Parteien haben vier Jahre lang ohne größere Probleme zusammen regiert. Vielleicht ist der enorme Machtwille der Grünen der einzige Punkt, der nach Ansicht der Zeitschrift N&N eine solche Option erschwert.