Roman Kokšal, Siemens Mobility: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen darf die Mobilität von Menschen und Dingen nicht gefährden

„Die Dekarbonisierung des Verkehrs sollte ein organischer Bestandteil einer allgemeinen technologischen Modernisierung hin zu mehr Sicherheit, Zuverlässigkeit, Effizienz, Geschwindigkeit und Qualität sein,“ betont Roman Kokšal, CEO von Siemens Mobility, s.r.o. In der Reihe “Sedm mostů – Sieben Brücken” stellt die Redaktion des N&N Tschechisch-Deutschen Magazins deutsche Unternehmen und Persönlichkeiten vor, die in der Tschechischen Republik tätig sind, und tschechische Unternehmen, die in Deutschland tätig sind.

Roman Kokšal Foto: Siemens

Siemens Mobility ist ein unabhängiges Unternehmen, das zu 100 % der Siemens AG gehört. Das Unternehmen ist seit mehr als 140 Jahren auf dem Verkehrsmarkt tätig. Die erste elektrische Lokomotive wurde 1879 von Werner von Siemens der Welt vorgestellt. Es folgten die erste elektrische Straßenbahn (1881), der erste Oberleitungsbus (1899), die erste elektrische U-Bahn (1896) und die erste Hochgeschwindigkeitsbahn (1903). Weltweit beschäftigt Siemens Mobility rund 38.000 Mitarbeiter, in der Tschechischen Republik (Siemens Mobility, s.r.o.) fast 900.

Was sind Ihre nächsten Pläne in der Tschechischen Republik?

Wichtige Themen für uns sind Nachhaltigkeit, die Verringerung des CO2-Fußabdrucks und die damit verbundene Reduzierung des Energieverbrauchs im Verkehr. Der Verkehr ist für ein Viertel der in der EU erzeugten Treibhausgase verantwortlich, und sein Anteil nimmt weiter zu. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die Verkehrsemissionen bis 2050 um 90 % reduziert werden. Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Mobilität von Menschen und Gütern durch eine Abkehr von fossilen Brennstoffen nicht beeinträchtigt wird. Im Gegenteil, die Dekarbonisierung des Verkehrs sollte ein organischer Bestandteil seiner allgemeinen technologischen Modernisierung hin zu mehr Sicherheit, Zuverlässigkeit, Effizienz, Geschwindigkeit und Qualität sein.

Dies soll auch durch die Verlagerung von 75 % des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und das Wasser erreicht werden. Moderne Eisenbahnen werden uns helfen, dieses Ziel zu erreichen. Die Instrumente dazu gibt es im Bereich der Fahrzeuge, im Bereich der elektrischen Energie für Eisenbahnen und im Bereich des Eisenbahnverkehrsmanagements und der Sicherheit. Wir arbeiten intensiv an ihnen und erwecken sie Schritt für Schritt zum Leben.

Sehr wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit der heimischen Industrie in der Tschechischen Republik: Nach dem sehr erfolgreichen und von den Fahrgästen sehr geschätzten Gemeinschaftsprojekt der tschechischen und österreichischen Bahnen Railjet Prag – Brünn – Wien – Graz haben wir gemeinsam mit dem heimischen Unternehmen Škoda Transportation von České dráhy (ČD), einen Auftrag über 50 Schnellzugwagen auf Basis unserer bewährten Plattform Viaggio Comfort erhalten, der sich bereits in einem sehr fortgeschrittenen Stadium befindet.

In diesem Jahr haben wir erneut einen Auftrag der ČD mit dem Konsortialpartner Škoda Transportation über 180 Schnellzugwagen erhalten, die zu zwanzig neunteiligen Triebzügen zusammengestellt werden, die auch auf Hochgeschwindigkeitsstrecken mit 230 km/h fahren können. Geplant ist der Einsatz auf den Fernverkehrsstrecken Prag – Berlin – Hamburg, Prag – Brünn – Budapest und Prag – Brünn – Wien – Graz – Villach.

Worauf sind Sie am meisten stolz, was Sie in der Tschechischen Republik erreicht haben?

Das ist eine schwierige Frage. Wir sind stolz auf jeden Erfolg, den wir erzielen, um unseren Partnern und Spediteuren zu helfen, ihre Ziele zu erreichen und zur Entwicklung eines modernen, nachhaltigen Verkehrs im Allgemeinen beizutragen. Was ich aber auf jeden Fall erwähnen möchte, sind unsere Entwicklungszentren, die wir in Prag, Ostrava, Pilsen und Brünn geschaffen und ausgebaut haben. Sie beschäftigen inzwischen fast 500 Mitarbeiter und wachsen stetig, wobei sie im Rahmen der Verträge neue Kompetenzen und mehr Verantwortung erhalten. Die Qualifikationen ihrer Mitarbeiter werden systematisch erhöht, wodurch Arbeit mit sehr hohem Mehrwert geschaffen wird. Damit wird das falsche, aber immer noch lebendige Medienbild von Montagewerken, die billige, ungelernte Arbeitskräfte suchen, völlig widerlegt. Im Gegenteil, diese Arbeitsplätze sind sehr eng mit den Universitäten verbunden, mit denen wir aktiv in der Ausbildung junger Ingenieure zusammenarbeiten, an der unsere Techniker intensiv beteiligt sind.

Dank der systematischen Entwicklung der schulischen und beruflichen Qualifikationen der Ingenieure kann man den tschechischen Fußabdruck in solch prestigeträchtigen Projekten wie den 350 km/h schnellen Velaro-Hochgeschwindigkeitstriebwagen, den Desiro HC-Regionaltriebwagen oder dem Mireo finden. Die technische Spitze der Entwicklungsarbeit wird zweifelsohne durch die maßgebliche Beteiligung tschechischer Ingenieure an der Entwicklung der innovativen Mireo Plus-Triebfahrzeuge repräsentiert. Sowohl in der Zwei-Quellen-Version des Trolleys/Batterie als auch in der Version mit Wasserstoff-Brennstoffzellen.

Mit der mehrmonatigen Einführungsphase sollen mögliche “Kinderkrankheiten” vor dem Regelbetrieb erkannt und beseitigt werden. Ziel des Probebetriebs ist die Überprüfung der Betriebszuverlässigkeit des ICE 4 unter realitätsnahen Einsatz- und Praxisbedingungen. Bis zum Start der Einführungsphase mit Fahrgästen wird der ICE 4 bereits rund 250.000 Testkilometer auf dem Siemens Testring im Prüf- und Validationscenter von Siemens in Wegberg-Wildenrath sowie im Netz der Deutschen Bahn absolviert haben.

Mireo Plus, elektrischer Triebfahrzeugwagen mit zwei Stromquellen und Batterie. Foto: Siemens

Die Beteiligung unseres Entwicklungspersonals an der Entwicklung der ETCS-Technologie, die derzeit im Zusammenhang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheit und der Digitalisierung des Eisenbahnnetzes in Norwegen steht, ist ebenfalls von wesentlicher Bedeutung… Das ist eine Menge.

Es geht aber nicht nur um Entwicklungsarbeit, sondern auch um die praktische Anwendung moderner innovativer Produkte bei der tschechischen Eisenbahn. So haben wir beispielsweise bereits 39 interoperable Vectron-Lokomotiven an die Tschechische Republik geliefert, die unser Flaggschiff im Güter- und Personenverkehr sind, und ich wage zu behaupten, dass sie in Bezug auf Qualität und Verfügbarkeit konkurrenzlos sind. Noch mehr wurden verkauft, wobei die letzte in diesem Jahr verkaufte Lokomotive in den Fuhrpark der Eisenbahnverwaltung überging. Natürlich darf ich die bereits erwähnten Schnellzugwagen für die tschechischen Eisenbahnen nicht vergessen.

In Zusammenarbeit mit unseren deutschen Partnern erweitern wir schrittweise unsere Kompetenzen. Kürzlich ist es uns sogar gelungen, in Tschechien eine Zulassungsabteilung für Schienenfahrzeuge zu eröffnen, die in Zusammenarbeit mit der deutschen Zentrale die Zulassungsprozesse für Schienenfahrzeuge aus dem Portfolio von Siemens Mobility weltweit betreut. Dies ist ein Vertrauen, das uns verbindet.

Vectron im Dienst der Tschechischen Bahn. Foto: Tschechische Eisenbahnen.

Gibt es Besonderheiten, Unterschiede oder Unterscheidungen zwischen dem tschechischen und dem deutschen Markt, die Ihr Unternehmen wahrnimmt?

Trotz der gegenwärtig sehr großzügigen Investitionen in die Entwicklung der tschechischen Eisenbahnen sind die Schulden aus der Vergangenheit immer noch spürbar. Sowohl im Bereich der Fahrzeuge als auch im Bereich der Bahnstromversorgung, des Bahnmanagements und der Bahnsicherheit. Dies ist einerseits ein großes Potenzial für den Einsatz moderner innovativer Technologien, erfordert aber andererseits eine sehr ausgeklügelte Systemlösung, damit die Entwicklung aller baulichen Systeme der Bahn harmonisch und ineinandergreifend verläuft. Ebenso wichtig ist die sehr enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Bildungswesen bei der Vorbereitung der Ingenieure auf die neuen Technologien.

Wie hat sich die Pandemie auf Ihr Unternehmen in der Tschechischen Republik ausgewirkt, und welche Lehren ziehen Sie aus der Krise?

Aufgrund der Pandemie-Situation sind die meisten unserer Mitarbeiter in den Home-Office-Modus versetzt worden. Anders sah es bei den Technikern für den U-Bahn-Service, die Lokomotiven oder die Kreuzungssteuerung aus, wo unsere Kollegen ständig im Einsatz sein mussten. Die Pandemie hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Lieferkette bei der Herstellung von Schienenfahrzeugen und Verkehrssystemen, da es aufgrund von Produktionsengpässen in Fabriken auf der ganzen Welt zu Lieferverzögerungen kam. So verhinderte die Grenzschließung insbesondere die Teilnahme von Spezialisten aus Deutschland und Österreich an der Erprobung von Fahrzeugen auf der VUZ-Eisenbahnteststrecke bei Velim in Mittelböhmen. Die eingeschränkte Unterstützung betraf auch unsere Partner in der Tschechischen Republik, mit denen wir bei Projekten für tschechische Endkunden zusammenarbeiten. Was die Auftragsvergabe betrifft, so wurden einige Ausschreibungen verschoben, aber viele davon wurden wie angekündigt durchgeführt. Viele Betreiber haben die Urlaubspause genutzt, um ihren Fuhrpark und ihre Infrastruktur aufzurüsten, wohl wissend, dass die Menschen allmählich wieder auf Reisen gehen werden.

Lehren lassen sich zum Beispiel aus der Notwendigkeit ziehen, die Digitalisierung in den Unternehmen einzuführen und das Lieferantenportfolio zu diversifizieren, aber das sind Dinge, die in unserem Unternehmen auf einem sehr hohen Niveau angesiedelt waren und sind.

Was sollte sich Ihrer Meinung nach in der Tschechischen Republik ändern (Gesetzgebung, Infrastruktur usw.), damit Ihr Geschäft hier besser läuft?

Natürlich erfahren wir in unserer täglichen Praxis, was gut funktioniert und was verbessert werden muss. Der partnerschaftliche Dialog zwischen Industrie und öffentlicher Verwaltung ist ein altbewährter Wert, den wir sehr hoch schätzen und den wir zu entwickeln und zu pflegen versuchen. Das ist nicht einfach. Neben den rein technischen und wirtschaftlichen Aspekten gibt es auch subjektive Vorurteile und emotionale Bindungen. Zum Beispiel im Bereich der Dekarbonisierung des Verkehrs. Es gibt Menschen, die ihr Auto mit Verbrennungsmotor lieben und eine Dekarbonisierung des Verkehrs für unnötig halten. Aber auch hier geht es um Information, um Dialog, um mehr Wissen und Bildung. Das ist auch unser Auftrag. 

Beim Powercar sind alle Antriebskomponenten in einem Wagen vereint. In diesen angetriebenen Wagen sind die wesentlichen Komponenten unterflur angeordnet: Transformator, Traktionsstromrichter mit zwei Pulswechselrichtern und Wechselstrom-Bordnetzversorgung, Traktionskühlanlage, Teile der Hochspannungsausrüstung sowie die beiden zweiachsigen Triebdrehgestelle mit je zwei eigenbelüfteten Fahrmotoren. Die Konzentration einer vollständigen Antriebsanlage in einem Wagen sorgt für nahezu frei konfigurierbare Züge in Kombination mit weiteren angetriebenen und antriebslosen End- und Mittelwagen.

Hochgeschwindigkeitszüge. Foto: Siemens

Würden Sie versuchen, Ihren Kunden in sieben Worten zu beschreiben?

Die Kunden sind unterschiedlich, ich wage es nicht, sie auf diese allgemeine Weise zu identifizieren. Was sie jedoch gemeinsam haben, ist, dass sie an den Schienenverkehr glauben und versuchen, ihn jeden Tag weiter voranzutreiben, um neue Dienstleistungen zu entwickeln, die der Nachfrage entsprechen. Sie schätzen auch ehrliche und offene Diskussionen und erkennen, dass die Anschaffungskosten für Fahrzeuge oder Technologien nur die Spitze des Eisbergs sind und Entscheidungen auf der Grundlage einer ganzheitlichen Betrachtung getroffen werden müssen.

Charakteristisch für einen Kunden, der sich für ein Produkt von Siemens Mobility entscheidet, könnten sein: Sorge um die Fahrgäste oder um die pünktliche Lieferung von Waren, Vertrauen in neue Technologien, wirtschaftliches Denken.

Vorheriger Teil der Umfrage:

Thomas Geissler, T-Mobile: Exzellenter Kundenservice wird immer wichtiger für tschechische Kunden

Jan Pihar, Dachser: Wir werden das Zentrum Prags völlig emissionsfrei versorgen

Die nächsten Teile der Umfrage:

Bosch
, Mercedes, Czech Trade, Engel & Völkers Czech Trade, Braun Partners, Radka Fashion


Sedm mostů 🇨🇿 – 🇩🇪 Sieben Brücken

Die Redakteure des N&N Magazine haben ein groß angelegtes Projekt mit dem Titel Sedm mostů – Sieben Brücken gestartet. Sie stellt die wichtigsten in der Tschechischen Republik vertretenen deutschen Unternehmen sowie tschechische Unternehmen und Organisationen mit Aktivitäten in Deutschland in Form einer Umfrage mit sieben Fragen vor.

Die Präsentation basiert lose auf unserem Buch Die Mauer zwischen uns, das die Geschichten von Tschechen in Deutschland und Deutschen in der Tschechischen Republik beschreibt und für die Frankfurter Buchmesse 2021 nominiert ist.

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