Auf der Pilgerreise des St. Gunthers

Die Geschichte des Heiligen Gunther (tschechisch Vintíř) gibt vielen Pilgern den Anstoß, sich selbst kennenzulernen. Lesen Sie mehr über den 160Kilometer langen Weg von Niederalteich in Bayern nach Blatná in Südböhmen.

🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Vydejte se na stezku svatého Vintíře

Darüber, weshalb der 50-jährige Gunther das weltliche Leben aufgab und in die Benediktinerabtei Hersfeld eintrat, gibt es viele Spekulationen, eine gewisse Rolle spielte jedoch der Tod seiner Frau. Gunther wurde 955 als Sohn des Grafen von Schwarzburg-Käfernburg in eine thüringische Adelsfamilie geboren. Entsprechend diesem Stand wurde er in den Tugenden des Rittertums erzogen, lernte den Umgang mit Waffen und beherrschte die slawische Sprache. Unter dem Einfluss von Abt Godehard zog er 1006 von Hersfeld in das Kloster Niederalteich. Der Legende nach tat er sich im Kloster schwer mit der Demut und der Disziplin. Die Einsiedelei bot ihm einen Ausweg, um mit Gott intensiver in Verbindung treten zu können. Seine erste Einsiedelei errichtete er auf dem Ranzinger Berg nahe Lalling, später begab er sich tiefer in die Wälder, wo er eine neue Wirkungsstätte baute. Dort gründete er mit seinen Brüdern ein Kloster und das Dorf Rinchnach, das ein Tor zum Bayerischen Wald und zum Böhmerwald wurde. 

Der Ort musste auch wirtschaftlich abgesichert werden, und so sorgte Gunther dafür, dass der Handelsweg von der Donauebene über Rinchnach in den Nordwald nach Böhmen führte. Der sogenannte Gunthersteig (tschechisch Vintířová stezka) diente fortan dem Handel zwischen Bayern und Böhmen – insbesondere dem Salzhandel von den Klostersalinen in Bad Reichenhall nach Böhmen, wo Salz knapp war. Innerhalb weniger Jahre hatte Gunther eine kleine Klostergemeinschaft um sich geschart, die er mit Güte und Freundlichkeit leitete.

Ein Vermittler zwischen den Völkern

Gunther wirkte auch als Missionar, nahm politische Aufgaben wahr, war Berater und Vertrauter von Königen und Kaisern und wurde zum Vermittler zwischen den Völkern, wobei ihm seine adlige Herkunft und seine Sprachkenntnisse halfen. Gegen Ende seines Lebens zog sich Gunther in die Wälder um Dobrá Voda im Böhmerwald zurück. Seine letzten Jahre verbrachte er allein in tiefer Gemeinschaft mit Gott. Er starb am 9. Oktober 1045 und seine sterblichen Überreste wurden im ältesten tschechischen Benediktinerkloster Břevnov in Prag beigesetzt.

Obwohl Gunther nie heiliggesprochen wurde, galt er aufgrund seiner Lebensweise als Heiliger. Der Kult um Gunther entwickelte sich in Bayern und Tschechien, und die Kirche duldet stillschweigend seine Verehrung als Heiliger. Die Benediktinerorden Bayerns und Tschechiens veranstalten an den Wirkungsstätten von Gunther Feierlichkeiten zu seinem Gedenken.

Pilger- und Wanderw über 160 km

Im Laufe der Jahre hat sich der Gunthersteig zu einem Pilgerweg entwickelt, der viele Gläubige anzieht, die an den Orten, an denen der berühmte Mönch wirkte und starb, geistigen Trost suchen. Heute verläuft er von der Donauebene durch die Natur- und Nationalparks Bayerischer Wald und Böhmerwald. Die Gesamtlänge von 160 Kilometern ist in neun Tagesetappen von 14 bis 21 Kilometern unterteilt. Der Pilgerweg beginnt am bayerischen Kloster Niederalteich an der Donau und endet in Blatná. 

Eine Hacke und ein goldenes „V“

Der Gunthersteig folgt den Orten, an denen der Mönch seine Spuren hinterlassen hat. Auf der bayerischen Seite ist die touristische Wegmarkierung das Symbol einer Hacke, da Gunther mit diesem Werkzeug einen undurchdringlichen Teil des bayerischen Waldes roden ließ, um diesen Ort besiedeln und das Dorf Rinchnach gründen zu können. Auf der böhmischen Seite übernehmen die Navigation die üblichen touristischen Markierungen, die zudem mit dem goldenen Buchstaben „V“ versehen sind. Das kann für deutsche Pilger etwas verwirrend sein, denn Gunther heißt auf Tschechisch Vintíř. Entlang des Weges befinden sich zahlreiche Sehenswürdigkeiten, wie z. B. der Guntherstein bei Lalling, die Wallfahrtskirche Frauenbrünnl bei Rinchnach – das sog. Guntherkirchl – oder Gsenget, der „grüne Grenzübergang“ nach Böhmen. 

Zwei Ausstellungen im Lindberger Bauernhausmuseum und im Šimon-Adler-Museum in Dobrá Voda zeichnen das Leben des Heiligen Gunther nach. Den Weg säumen etliche Werke von regionalen Künstlern, die dem verehrten Mönch gewidmet sind, wie der Kreuzweg und der Gunther-Brunnen in Lindberg, das Glaskreuz in Spiegelhütte und der flache Steinwegweiser in Scheureck. Auf der tschechischen Seite befinden sich malerische Kapellen, Schlösser und Burgruinen. Die barocke St. Gunther-Kirche in Dobrá Voda mit ihrem gläsernen Altar, die Gunther-Kapelle unterhalb des Březník-Gipfels oder die St.-Mauritius-Kirche auf der Mouřenec-Anhöhe sollten nicht übersehen werden. Der Weg führt durch Sušice, vorbei an der Märchenburg Rabí, durch die Stadt Horažďovice und über das Barockschloss in Chanovice bis nach Blatná in Südböhmen.

Pilgern bis nach Prag

Auf Initiative  des Vereins Svatá Ludmila soll ein neuer Abschnitt des Pilgerweges  von Blatná zum Kloster Břevnov in Prag entstehen. Der Verein mit seiner Geschäftsführerin Miroslava Janičatová an der Spitze schlägt vor, den Gunthersteig über den Wallfahrtsort Svatá Hora in Příbram und die historische Gemeinde Tetín fortzusetzen, wo die heilige Ludmila ermordet wurde. Während der Herrschaft ihres Enkels, des Heiligen Wenzel, wurden ihre sterblichen Überreste von Tetín in die St.-Georgs-Basilika auf der Prager Burg überführt. Der Weg sollte dann weiter über den bei Beroun gelegenen mystischen Ort Svatý Jan pod Skalou mit einer einzigartigen Aussicht und die Felsformationen Hlubočepské-plotny unterhalb des Děvín-Hügels führen. Letzte Station sollte das Kloster Břevnov, d. h. ein dem hl. Adalbert von Prag und der hl. Margareta von Antiochien geweihtes Kloster des Benediktinerordens, sein. In diesem ältesten tschechischen Männerkloster sollen sich auch die Überreste des Heiligen Gunther befinden. 

St.-Ludmila-Verein
Der Verein wurde 2015 mit dem Ziel gegründet, die St.-Ludmila-Stätten nicht nur in der Tschechischen Republik zu verbinden und das Erbe der Heiligen Ludmila zu pflegen. Nach ihrem 1100. Todestag im Jahr 2021 erweiterte er seine Aktivitäten zu einem Projekt des Pilgertourismus, einer Reise zu ihren Wurzeln mit der Idee, mehr oder weniger wichtige Pilgerstätten in Böhmen und Mähren zu fördern. Das Projekt Unsere Heiligen widmet sich auch dem Erbe von Volksheiligen und historischen Persönlichkeiten, die mit den Ursprüngen des tschechischen Staates verbunden sind. Im nächsten Jahr wird der St.-Ludmila-Verein weitere Veranstaltungen zum Gedenken an den 980. Todestag des Heiligen Gunther initiieren.
Mehr unter: www.svataludmila.cz, www.putovanizakoreny.cz, www.nasisvetci.cz

On the Road…

Prokop Siostrzonek, Römisch-katholischer Geistlicher, Benediktinermönch und Erzbischof des Klosters Břevnov:
“Das Wandern zu heiligen Orten ist seit jeher einer der gemeinsamen Nenner der Weltreligionen. Die Tradition des Pilgerns in den tschechischen Ländern hat ihre Wurzeln im Mittelalter. Viele Pilger aus unseren Ländern machen sich mit Menschenmassen aus vielen anderen Ländern auf den Weg ins Heilige Land, nach Rom oder Santiago. Jede Pilgerreise führt uns aus dem Stereotyp des Ortes und der Zeit heraus, in der wir gewöhnlich leben. Wenn wir uns auf eine Reise begeben, stellen wir fest, dass wir viel weniger im Leben brauchen, als wir glauben, aber wir stellen auch fest, dass wir viel mehr brauchen, als wir anstreben.” 

Josef Dengler, Historiker, der sich dem Leben von Gunther in Deutschland widmet:
“Die Pilgerreise ist reiseorientiert, das Ziel der Pilgerreise ist die Reise selbst, das Unterwegssein zu sich selbst, manchmal auch in einer besonderen Beziehung zur Religion. Pilgerreisen finden allein oder in kleinen Gruppen statt und dauern so lange, wie Sie es selbst bestimmen. Früher war das Pilgern viel stärker mit der Religion verbunden; heute ist das Pilgern eher eine Reise zu sich selbst. Aber auch wenn das Pilgern heute eher profan ist, schwingt auf der Reise Spiritualität mit, bei der man über sich selbst, seine Gedanken und „Gott und die Welt“ nachdenkt.”

Simona Fink, Koordinatorin der bayerisch-tschechi-schen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Landkreis Regen:
“Das Projekt Gunther Trail wurde vor zwei Jahren geplant. Die Absicht war, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in Ruhe zu besinnen und auf den wenig befahrenen Wegen zu wandern. Entlang des Pilgerweges haben wir Bänke aufgestellt, die von lokalen Handwerkern und aus lokalen Materialien wie Stein, Metall und Holz gefertigt wurden. Wir haben auch an die Kinder gedacht, für die wir interessante Stationen wie nette kleine Spielplätze oder interaktive Infotische geschaffen haben. Wir wollten, dass die Leute nicht nur Kilometer auf dem Fahrrad jagen, sondern auch anhalten können. Ich würde mir wünschen, dass es mehr und mehr Projekte wie den Gunther Trail gibt.”

Luděk Krčmář, Kirchenhistoriker und Theologe:
“Theologisch gesehen war der christliche Pilgerweg in der Vergangenheit ganz auf das Ziel bezogen. In erster Linie handelte es sich um heilige Orte, an denen sich die Gegenwart Gottes in irgendeiner Weise manifestierte oder an denen ein Heiliger begraben wurde. Da jedoch nicht jeder in ferne Länder pilgern konnte, wurden die Wallfahrtsorte und die Pilgerfahrten dorthin in nähere Länder verlegt. Pilgerfahrten dorthin entstanden spontan aus dem Glauben an die Wunderbarkeit der Orte, die Fürsprache der Heiligen, der Jungfrau Maria, aber auch um Ablässe zu erhalten oder Sünden zu beichten. Die Gläubigen unternehmen weiterhin solche Reisen in ihrem Glauben, in Prozessionen mit ihrem Klerus und individuell. Die “Modernität” dieser Märsche, die Stempel auf der Straße, die zurückgelegten Kilometer, die Reisen werden von Führern begleitet, nicht von Klerikern. Aber selbst das ist in der säkularisierten Umgebung der Tschechischen Republik als Erfolg zu werten.”

Günther F. Chmielus, St. Gunther-Initiative Gesellschaft der Freunde der Klosterruine St. Wigbert Göllingen:
“Pilger sind Reisende. Sie wandern auf der Suche nach dem „Schritt des Lebens“. Für den modernen Men-schen ist das Pilgern eine besondere Form der sportlichen Betätigung im Sinne von Bewegung, Stärkung der Gesundheit und Entdeckung von Neuem. Die wahre und traditionelle Art des Pilgerns ist die zu den alten Pilgerzielen, zu den wunderbaren Orten Gottes und der Menschen. In dem Sinne, dass der Weg das Ziel ist und derjenige, der pilgert, geht und betet. Man sagt auch: „Pilgern ist Beten mit den Füßen“. Der Gunthersteig bietet alle Möglichkeiten einer “modernen” Pilgerreise: das Leben eines Heiligen kennen lernen, göttliche Orte aufsuchen, Wandern in freier und geschützter Landschaft, Sportmöglichkeiten, Museen und Kunststätten, Gelegenheiten, persönlich Gott zu suchen und „das Leben zu finden“. Die Pilgerinnen und Pilger bestimmen ihren Start- und Zielpunkt selbst. Doch wer pilgert, weiß, dass er auf dem Weg zum europäischen Frieden unterwegs ist, und die Ausgangs- und Endpunkte, das Kloster Göllingen in Thüringen und das Kloster Břevnov in Prag, sollen dazugehören.”

Dieser Artikel erschien in der sechsten Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag