Der slowakische Botschafter in Berlin: ​Kein Zweifel am Verbündeten-Beistand

Slovenský velvyslanecv Německu Marián Jakubócy
“Die russische Invasion in die Ukraine hat unsere manchmal etwas distanzierte Sicht auf die Sicherheit verändert. Europa wird nach dem 24. Februar 2022 anders sein als vorher”, betont Marián Jakubócy, der slowakische Botschafter in Berlin, in einem Interview mit der NN magazine.

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Die EU-Länder wie auch der Rest der demokratischen Welt haben sich als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine in noch nie dagewesener Weise zu einer Einheit zusammengeschlossen. Fühlt sich die Slowakei als Nachbarland der Ukraine von ihren NATO-Partnern ausreichend unterstützt?

Es besteht kein Zweifel an der Unterstützung durch die Verbündeten. Unser Nachbar, die Ukraine, wurde von ihrem anderen Nachbarn, Russland, militärisch angegriffen. In der Ukraine tobt ein Krieg, der das Sicherheitsumfeld erheblich verändert hat. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Verbündeten nach der illegalen Annexion der Krim und der Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität im Jahr 2014 die Sicherung der Ostflanke der NATO ständig verstärken.

Die Planung des Bündnisses im Sinne des Prinzips “Auf das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet zu sein” umfasst u.a. die schnelle Eingreiftruppe der NATO und andere vorbereitete Verteidigungsmaßnahmen, auf die wir uns derzeit verlassen können. Gleichzeitig sind unsere Streitkräfte, ebenso wie unsere Verbündeten in der Slowakei, an der Stärkung unserer Verteidigung beteiligt, zum Beispiel in den baltischen Staaten.

Die russische Invasion in der Ukraine hat unsere manchmal etwas distanzierte Sichtweise auf die Sicherheit verändert. Europa wird nach dem 24. Februar 2022 anders als vorher. Und es wird auch die Art und Weise verändern, wie wir über Sicherheits- und Verteidigungsfragen denken.

Eine militärische Aggression gegen einen anderen Staat ist eine Verletzung des Völkerrechts, ein inakzeptabler und nicht zu rechtfertigender Akt, und deshalb haben die EU-Länder klar und geschlossen reagiert. Auf der EU-Ebene haben wir in einer beispiellos kurzen Zeit einstimmig Maßnahmen in Form von Sanktionen beschlossen. Die USA, die EU-27, aber auch das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Schweiz und andere Länder reagierten auf die russische Aggression im Geiste der Werte, auf denen die westlichen Demokratien beruhen.

Die Tatsache, dass 141 Länder für die Resolution der UN-Generalversammlung gestimmt haben, in der Russland aufgefordert wird, seine Aggression gegen die Ukraine zu beenden und seine Truppen abzuziehen, ist ebenfalls sehr aufschlussreich.

Wie nehmen die Bürger der Slowakei die aktuelle Situation wahr? Fürchten sie eine direkte Bedrohung?

Ja, die Bürger sind besorgt. Es ist eine natürliche Reaktion, wenn in einem Nachbarland Krieg herrscht, wenn Städte und Dörfer beschossen und bombardiert werden, wenn Zivilisten sterben, wenn sich Menschen in Schutzräumen verstecken und aus dem Land fliehen. Wenn die Bürger diese Bilder sehen, fragen sie sich, inwieweit sie geschützt sind. Immer mehr Menschen erkennen, dass die Mitgliedschaft der Slowakei in der Allianz und die damit verbundene Unterstützung der Verbündeten heute der wirksamste Schutz ist.

Wie verändert sich die Haltung der Slowakei in der Flüchtlingsfrage, die bisher – wie in der Tschechischen Republik – eher lauwarm war? Sind Ihr Land und seine Bürger ausreichend auf die Ankunft von noch mehr Flüchtlingen aus der Ukraine vorbereitet? Mit welchen geschätzten Zahlen arbeiten Sie? (Anmerkung der Redaktion: Das deutsche Innenministerium schätzt die Gesamtzahl der Flüchtlinge aus der Ukraine auf 1,7 Millionen, WaS 6. März).

Wir betrachten dieses Thema oft durch das Prisma der Migrationskrise 2015. Die wenigsten wissen jedoch, dass die Slowakei beispielsweise auch in den Jahren 2002-2004 mit einem Flüchtlingszustrom konfrontiert war, wo um ein Vielfaches mehr Menschen  in die Slowakei kamen als in den Jahren 2015-2016. In der Slowakei gibt es Organisationen, die seit langem mit Menschen in Not arbeiten, darunter auch Migranten, und viele von ihnen werden seit langem vom Staat unterstützt.

Leider ist die heutige Situation jedoch mit keiner der früheren vergleichbar. Täglich kommen nun etwa 12-14 000 Flüchtlinge aus der Ukraine an. Die slowakische Regierung ergriff sofort Maßnahmen, um sie aufzunehmen, indem sie ihnen Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Hygieneartikel und andere notwendige Dinge, medizinische Hilfe und Gesundheitsfürsorge, Arbeit wie auch Einschulung der Kinder sichert.

Das individuelle Engagement bei der Hilfeleistung, die Freiwilligenarbeit der Slowaken und der zivilen humanitären und karitativen Organisationen ist unglaublich. Aus der Ukraine kommen vor allem Frauen mit Kinder und alte Menschen, die vor den Bombenangriffen und den Schrecken des Krieges fliehen – die Hilfsbereitschaft unserer Bürger ist enorm. Im Moment haben wir noch die Kapazität und wir kommen mit der Situation zurecht. Die allmählich steigenden Flüchtlingszahlen, die voraussichtlich bis zu 5 Millionen erreichen werden, zeigen jedoch deutlich, dass diese Flüchtlingswelle nicht nur für die Slowakei, sondern für die gesamte EU eine Herausforderung darstellen wird.

Welche konkreten aktuellen Hilfen und Engagements der Slowakei möchten Sie hervorheben?

Wir arbeiten an der Unterstützung der Ukraine im multilateralen Rahmen und auf bilateraler Ebene. Hervorheben möchte ich die gemeinsamen Aktionen mit den Partnern in der EU und der Welt, die bereits erwähnten Sanktionen und die gemeinsamen Signale auf internationaler Ebene, wie die Resolution der UN-Generalversammlung, die die russische Aggression gegen die Ukraine oder die Verletzung der UN-Charta durch die Russische Föderation verurteilt.

Auf bilateraler Ebene haben wir die humanitäre Hilfe, die medizinische Versorgung und andere Bedarfsdeckung erhöht. Wir tragen dazu bei, die Widerstandsfähigkeit und die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken. Die Slowakische Republik war der erste EU-Mitgliedstaat, der materielle humanitäre Hilfe für die Ukraine bereitgestellt und eine effiziente Logistikkette für deren Lieferung geschaffen hat. Die Ukraine muss schnell Hilfe erhalten, und um die Bereitstellung der Hilfe zu beschleunigen, versucht die EU, auch in der Slowakischen Republik “grüne Korridore” zu schaffen.

Wie sehen Sie die EU in einigen Wochen – oder wie würden Sie sie gerne sehen?

In naher Zukunft steht die EU vor dringenden Herausforderungen wie der Energieabhängigkeit von Russland, der Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber hybriden und Cyberangriffen, der Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie und der Bewältigung der humanitären Krise im Zusammenhang mit der vom Krieg schwer geprüften Ukraine. Dies sind Probleme, die komplexe Lösungen erfordern.

Es ist klar, dass sich die EU auf die Stärkung ihrer Innen- und Außenpolitik konzentrieren muss. Wir sind Zeugen einer Krise, eines Krieges – genau hier in Europa, wo die EU zeigt, dass sie stark ist, wenn sie geeint ist. Ich bin der Meinung, dass sich die EU mit dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenhalt und der vollständigen internen Integration befassen soll.

Die europäischen Länder verfügen über Wiederherstellungs- und Resilienzpläne, die umgesetzt werden müssen. Auch die Frage der EU-Erweiterung steht zur Debatte. Das sind Fragen zur Zukunft der EU. Gegenüber verschiedenen visionären Projekten bin ich mittlerweile skeptisch.

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