🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Ve vzduchu a na zemi
Sie kommt aus Deutschland, doch seit Jahren lebt sie in Barcelona, wo sie die Trapeze-Kunst ausübt. „Ich war schon immer ein Kind, das gerne auf Bäume geklettert ist. In der Luftakrobatik habe ich beides wieder gefunden, das Tänzerische und die Liebe für die Höhe. Auch das Risiko und das Adrenalin halfen mir, alles um mich herum zu vergessen und bei mir zu sein. Wenn man in mehreren Metern Höhe schwingt, ist es für mich manchmal wie Meditation“, betont Vivian.
Sie spezialisiert sich auf den Schwungseil, bei dem sie die Technik mit Trapez-, Vertikalseil und Schlappseil kombinert. Es ermöglicht ihr eigenen Stil zu entwickeln. Denn das Spannungsfeld zwischen sich (fest-)halten und erden, der Moment ohne Schwergewicht am Nullpunkt, und das ‚Einssein‘ mit dem Element faszinieren sie. Das Training ist zum festen Bestandteil ihres Alltags geworden, wobei sie sich nicht nur auf eine Disziplin konzentriert.
Wurzeln im Sudetenland
Ihre Vorfahren kommen aus dem Sudetenland, das seinerzeit u. a. auch durch die Glasmacherei weltbekannt wurde. Was verbindet sie mit Tschechien? „Vor allem das Glas. Und diese innere Ruhe, die ich verspüre wenn ich in der Gegend der Stadt Nový Bor bin. Es gibt Aufzeichnungen, auf Grund derer man davon ausgehen kann, dass meine Familie schon vor 500 Jahren in Nordböhmen und vor allem in Mistrovice und Oldřichov, heute Nový Oldřichov, ansäßig und in der Glasmacherei tätig war. Meine Großmutter ging in die Schule von Kamenický Šenov und mein Großvater leitete einen Betrieb in Oldřichov. Nach dem Krieg sind sie über Sachsen nach Thürigen geflohen, wo sie eine kleine Glasmacherei aufgebaut haben, um dann weiter nach Norddeutschland zu ziehen“, beginnt sie zu erzählen. Sie erinnert sich an ihre Großmutter, die dort jahrelang einen Betrieb geführt hat, bis er erst verkauft und dann 1990 geschlossen wurde. „Noch heute kann man im Internet Gläser unter dem hashtag #friedrichkristall finden. Und ich frage mich manchmal, ob ich jetzt vielleicht eine Glasmacherin oder Designerin wäre?“, überlegt sie.
„Der Zirkus kam nur durch Zufall in mein Leben, und doch habe eben durch den Zirkus wieder einen Kontakt zu Prag bekommen und somit auch zur Glasmacherkunst“, erklärt Vivian. „Als ich das erste Mal nach Nový Bor und Oldřichov gekommen bin, war das erst komisch – meine Großmutter wollte ihre alte Heimat so in Erinnerung behalten wie sie war und ist seitdem nie wieder zu Besuch gekommen, aber sie hat von ihrem Dorf sehr geschwärmt. Bei meinem Besuch in Oldřichov empfand ich Trauer. Viele Häuser waren herunter gekommen, auch die Kirche war zerstört und es war wirklich kein fröhliches Erlebnis. Doch der warme Glasofen bei Novotný und Lindava hat mich fasziniert – so saß ich tagelang im Novotný Studio, ich habe die Glasmacher beobachtet und mich mit Petr Novotný über die Vergangenheit und das Jetzt unterhalten. Leider ist Petr Novotný in diesem Jahr verstorben und ich bin unglaublich dankbar, dass ich ihn noch kennen gelernt habe. Er war der ‚Glasvater‘ vieler Glasbläser und – Künstler, mir hat er ein Stück Heimat geschenkt.
Kristall Bohème
Wie kam Sie auf die Idee von Kristall Bohème, in dem sie das Glas mit Akrobatik verbindet? „Ich habe gelernt auf zerbrochenem Glas zu laufen – auch im übertragenden Sinne. Und ich lerne seit der Kreation meines Stückes flameworking-Technik, um mit Stabglas Objekte zu blasen und zu formen. Diese Objekte werden in meinem nächsten Stück Sklenka Melta zu sehen sein. In meiner Familie standen die feinen mundgeblasenen Gläser manchmal nur im Schrank und dann gab es je nach Getränk ein spezielles Glas. Ab und zu wurden diese Gläser also zum Leben erweckt, aber man hatte immer Angst, das ein Glas zerbrechen würde. Diese Angst, das etwas zerbricht, hat mich interessiert. Aber auch die Frage, ob man etwas Altes zerbrechen muss, um etwas Neues zu formen?“, denkt sie nach.
Kristall Bohème war der Anfang, und es hat mir eine Welt eröffnet, die sie noch weiter entdecken möchte. Vor allem fasziniert mich das Material an sich, die Stärke und das Fragile, das ursprünglich flüssige Material, dass exakte Temperaturen und Zeiten benötigt, um nicht zu zerbrechen. Eine weitere Idee für Kristall Bohème war Operngesang, als Hochkultur geltend, mit der ‘Kleinkunst‘ Zirkus gegenüber zu stellen. Dabei interpretieren wir Stücke von zwei Komponistinnen: Luise Adolpha Le Beau und Vítězslava Kaprálová. Diese Kompositionen transportieren uns zeitlich vor den ersten und zweiten Weltkrieg und erwägen, inwiefern die Namen der Frauen aus unserer Erinnerung verschwinden und was diese Frauen ihrerzeit bewirkten. Operngesang wie auch Zirkusakrobatik sind beide hochtechnisch, wie auch die Glasmacherkunst“, beschließt die talentierte deutsch-spanische Künstlerin, Vivian Friedrich.
Foto: Archiv von Vivian Friedrich