🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Jan Macháček: Čechy a Němce otužuje permanentní konkurence ze všech stran
Zunächst eine allgemeine Frage: Fällt es einem Publizisten leicht, in der aktuellen politischen Realität Mitteleuropas irgendwie optimistisch zu sein?
Ich gestehe, dass ich mich nicht als Optimist bezeichnen würde. Für einen Publizisten ist es derzeit recht schwierig, nach Beispielen für allgemein positive Entwicklungen zu suchen. Wenn wir uns nur auf den Energiesektor beschränken, bin ich zum Beispiel besorgt über die abgrundtief unterschiedliche Wahrnehmung der tschechischen und deutschen Öffentlichkeit von allem, was den Green Deal für Europa anbelangt. Ein weiterer Grund für Pessimismus ist auch die Tatsache, dass wir uns in den letzten Monaten darauf zubewegen, dass die Energiepreise in unserem hochindustrialisierten Raum viermal so hoch sein werden wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Und das sind nicht gerade schönen Aussichten.
Welche Folgen könnte das für unsere Wirtschaft haben?
Langfristig könnte Europa zu einem Gebiet werden, das mehr einem Erholungskontinent gleicht, mit vielen Golfplätzen und diversen Attraktionen, aber mit erheblich weniger Industrie. Es sollte heute als feststehende Tatsache angesehen werden, dass Deutschland eines Tages sein industrielles und exportorientiertes Modell wird ändern müssen.
Bevor wir uns dem Optimismus zuwenden, was bereitet Ihnen noch Sorgen?
Worüber sich jeder, der die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen verfolgt, Gedanken macht, sind die sozialen Netzwerke. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie die Politik in völlig überzogene Positionen polarisieren und die Debatte in eine Kakophonie des Geschreis verwandeln; ihre schädliche Wirkung auf die Gesellschaft als Ganzes liegt auf der Hand. Das kann zu nichts Gutem führen. Und dann ist da natürlich noch der Krieg in der Ukraine, der sehr nahe ist und von dem niemand weiß, wann und wie er enden wird.
Bietet unser geografischer Raum also Grund zur Freude über die Zukunftsaussichten?
Natürlich tut er das. Ich würde es so formulieren, wir sind im Grunde dazu verurteilt, uns den künftigen Herausforderungen zu stellen und diese zu meistern. Das gilt für Deutschland wie für die Tschechische Republik. Durch unsere Lage in der Mitte Europas sind wir auf den ersten Blick vor allem eine Umweltbelastung, denn der LKW-Verkehr rollt von Ost nach West und von Nord nach Süd über unser Land. Das bedeutet aber auch eine permanente Massage durch den Westen, der über Investoren und Technologie verfügt, und durch den Osten, der wiederum billige Arbeitskräfte hat. Und Wettbewerb ist, wie wir wissen, immer und überall eine positive Sache. Und die beste Art, sich gegen die Konkurrenz zu wappnen, ist ununterbrochene Ertüchtigung. Das ist es, wozu wir in diesem Raum verurteilt sind und daher sind wir auch zum Erfolg verurteilt. Wir müssen nämlich etwas mit uns selbst machen, was unseren Charakter und unsere Einstellung zu den Dingen beeinflusst. Und das ist eine gute Nachricht.
Aber was nützt der Wettbewerb, wenn die Energiepreise die Produktion vertreibt?
Das ist komplexer. Ich sehe im Grunde zwei gegensätzliche Tendenzen. Einerseits werden wir durch die Energiepreise nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Andererseits findet hier eine gewisse Mäßigung der Globalisierung, man könnte auch sagen Deglobalisierung, statt. Nach der Covid-Pandemie und infolge des Krieges geht der Trend dahin, einen Teil der Produktion nach Europa zurückzuholen. In Zukunft wird es eine Ausweitung dessen geben, was wir als strategische Branchen bezeichnen. Der Druck unserer Regierung und der europäischen Institutionen auf europäische Unternehmen, sich aus China zurückzuziehen, wird zunehmen.
Ist das nicht nur eine Art vorübergehender Welle?
Das bleibt abzuwarten, noch lässt sich das nicht vorhersagen. Aber das ist keine Einbahnstraße. Škoda Auto zum Beispiel wird seine Produktion in China wahrscheinlich im nächsten Jahr einstellen, während Volkswagen dort Elektroautos produzieren wird. Auch die BASF, der größte deutsche Chemiekonzern, wird in China deutlich mehr produzieren als bisher und Waren nach Europa importieren. Wussten Sie übrigens, dass die BASF so viel Energie verbraucht wie ganz Dänemark? So gesehen sollten uns ähnliche Entscheidungen nicht allzu verwundern.
Hat unsere geografische Lage noch andere Vorteile?
Hat sie, beispielsweise in Bezug auf Korruption und Transparenz. Ich bin da eher ein Fatalist. Meiner Meinung nach lässt sich nachweisen, dass die Korruption in Europa nach Osten und Süden hin zunimmt. Wir befinden uns genau in der Mitte, so dass wir entscheiden können, in welche Richtung wir gehen wollen. Wenn wir es uns bequem machen, könnten wir kulturell bald dem Süden gleichkommen. Wenn wir als Teil des Westens oder Nordens angesehen werden wollen, müssen wir natürlich etwas dafür tun. In diesem Fall kann Deutschland ein guter Kompass für uns sein. Langfristig gesehen ist das eine große Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine positive Motivation. Schließlich ist es von Prag aus näher nach Berlin als nach Budapest.
Sie beschäftigen sich intensiv mit der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Wie sehen den Vorsitz westliche Diplomaten, wenn Sie mit ihnen sprechen?
Die Tschechische Republik wird im Gegensatz zu Ungarn oder Polen als ein Land ohne größere Probleme wahrgenommen. Eigentlich sind wir so etwas wie ein stabiles und langweiliges Land. Unsere Präsidentschaft wird sehr gut bewertet und meist als produktiv bezeichnet. Der erste informelle EU-Gipfel in Prag, auf dem die Ukraine und die Energiesituation erörtert und die Europäische politische Gemeinschaft gegründet wurden, fand großen Anklang. Wir haben ihn ausgerichtet, obwohl die Franzosen den Gipfel hier in der Tschechischen Republik als ihre Angelegenheit dargestellt haben. Es bleibt abzuwarten, wie sich die politische Gemeinschaft weiterentwickeln wird, aber auf jeden Fall ist das eine positive Sache.
Und was die Diskrepanz in der Bewertung des Green Deals zwischen uns und dem Kern der EU angeht?
Ich sehe da nicht nur Diskrepanzen. Wir sollten uns nicht nur auf das konzentrieren, was für unsere Öffentlichkeit problematisch ist, sondern vielmehr auf das, was uns eint. Und das sind die überall debattierten Einsparungen und Sparmaßnahmen. Auch wenn die Tschechen die Begeisterung der Deutschen für erneuerbare Energien nicht teilen, da sie im Allgemeinen viel skeptischer (manch einer würde auch sagen zynischer) sind, muss man ihnen sicher nicht erklären, dass es gut ist, sparsam zu sein und Energie vernünftig zu nutzen. Und Sparsamkeit ist ganz sicher keine Utopie, sie ist integraler Bestandteil der deutschen Energiewende und gleichzeitig etwas, was in unserer Natur verwurzelt ist, was in den Genen der Tschechen liegt. Für mich ist das trotz aller Widersprüche eine Quelle des Optimismus. Umweltfreundlich zu sein und Wasser zu sparen ist etwas, wozu wir alle von klein auf erzogen wurden. Von uns zu erwarten, dass wir uns für Wasserstoff begeistern, ist ein wenig töricht.
Ist das nicht auch eine Erklärung dafür, warum wir die Vision einer Kreislaufwirtschaft im Allgemeinen gut annehmen?
Sicher, das sind kommunizierende Gefäße. Auf die Sache mit der Sparsamkeit werde ich noch zurückkommen. Selbst Václav Klaus, was immer wir von ihm halten mögen, war ein Verfechter der Sparsamkeit. Er gründete zwar die ODS, die heute das politische Vehikel für die tschechische Skepsis gegenüber dem Green Deal ist, aber während seiner aktiven Zeit sprach er überall von der Notwendigkeit, die Lichter auszumachen. Und das kann auch im Zusammenhang mit dem modernen Begriff der Kreislaufwirtschaft verstanden werden. Lassen wir außen vor, dass dazu auch die moderne Technologie gehört, sind wir wieder bei der Sparsamkeit angelangt. Schließlich kamen die meisten Tschechen vom Lande in die Städte, wo die Kreislaufwirtschaft in jedem Haus gepflegt wurde. Vielleicht erinnern sich manche Menschen noch an ihre Großeltern, wie eifrig sie kompostiert und recycelt haben, sie nannten es nur nicht Kreislaufwirtschaft. Hierin könnte eine Quelle für zukünftigen Optimismus und Zusammenarbeit liegen.
Auch dreißig Jahre nach der Revolution gibt es auf der tschechischen und der deutschen Seite der Grenze noch große Unterschiede. Werden sie jemals verschwinden?
Wir werden wahrscheinlich nie so reinlich und ordnungsliebend sein wie die Deutschen, aber ich sehe eine spürbare Veränderung in unserem Interesse am öffentlichen Raum. Wenn man in die 1990er Jahre zurückblickt, ist es, als ob es damals keine Kommunalpolitik gegeben hätte. Wenn man heute irgendwo in eine Kneipe geht, stellt man fest, dass die lokale Politik viel debattiert wird. Die Bürger sind wesentlich mehr daran interessiert, was in ihrer Gemeinde passiert und wie das Ortsgebiet verwaltet wird. Ich bin der Meinung, dass Tomáš Garrigue Masaryk, als er sagte: “Fürchte dich nicht und stehle nicht”, mit “stehle nicht” auch den öffentlichen Raum im Sinn hatte. Das heißt, das “Ärar”, das die Tschechen seit der österreichischen Zeit vernachlässigt hatten und das nicht nur ein Erbe des Kommunismus ist. Aber wer sich noch an die 1990er Jahre erinnert und heute in die Zentren der Kleinstädte geht, kann diese große Veränderung nicht übersehen. In diesem Sinne sind wir nach Europa zurückgekehrt.