Salon N&N: Tschechien erhält in Berlin Beifall für Reaktion auf die Aggression gegen die Ukraine

Die Geigerin Markéta Janoušková spielte u. a. ein Stück des russischen Komponisten ukrainischer Herkunft Sergej Prokofjew
Tschechischer Ex-Aussenminister Karel Schwarzenberg und weitere Persönlichkeiten analysierten auf dem Deutsch-tschechischen Salon in Berlin die Reaktion der demokratischen Welt auf Putins Aggression gegen die Ukraine.

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Die drängenden Ereignisse der letzten Wochen waren auch auf dem Berliner Salon, den zusammen Danuše Siering und der Botschafter Tomáš Kafka veranstalten, nicht zu übersehen.  Die festliche Atmosphäre des Salons wurde beibehalten, aber nicht mal die Geige, das Klavier noch der Wein von den Weinkellern Kutná Hora änderten was an dem vorgegebenen wesentlichen Inhalt des Abends – der Analyse der Reaktion der demokratischen Welt auf Putins Aggression gegen die Ukraine.

Die Zeit verlangt nach mehr Helden als Wolodymyr Selenskyj, meinte Tomáš Kafka in dem Tschechisch-deutschen Salon, der in der Tschechischen Botschaft in Berlin stattgefunden hat. Foto: Jonas Beck

„Eine neue Ära beginnt. Wenn die Amtszeit von Angela Merkel oft als postheroische Epoche bezeichnet wird, so sprechen wir jetzt von heroischen Zeiten, nur wissen wir leider noch nicht, wer die Helden sind. Vielleicht ist einer von ihnen der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky, aber das allein reicht nicht aus,“ sagte der tschechische Botschafter in Deutschland, Tomáš Kafka, der auch Gastgeber des Abends war. Der betreffende Diplomat machte so offensichtlich Anspielung auf die Distanz, mit der der Westen die Invasion in der Ukraine 2014 behandelt hat, und vielleicht auch auf das anfängliche Zögern einiger Länder, Waffen an ein souveränes europäisches Land zu liefern, das angegriffen wird. Zu letzterem Punkt ertönte jedoch kurz darauf Beifall im Saal für die Tschechische Republik, die als erstes Land überhaupt Panzer und andere Waffen an die Ukraine geschickt hat.

Den Deutsch-tschechischen Salon eröffnete seine Veranstalterin Danuše Siering und der Leiter des Tschechischen Zentrums in Berlin Tomáš Sacher
Foto: Jonas Beck

Schwarzenberg: Der Westen kann die Ukraine nicht zu einem Kompromiss zwingen, nur weil wir Frieden wollen

Der Gast des Abends, Karel Schwarzenberg, sagte, er sei von Putins Einmarsch in der Ukraine überrascht. „Ich war ihm gegenüber immer misstrauisch, aber ich hielt ihn dennoch für einen hochintelligenten und rationalen Menschen, “ räumte der ehemalige Außenminister seinen Fehler ein und wiederholte auf Nachfrage des Leiters des Tschechischen Zentrums in Berlin Tomáš Sacher, dass er eine Eskalation der Spannungen mit dem Ziel der Erpressung der Ukraine erwartet habe, nicht aber einen offenen Krieg. Er verwies auf die Zweifel von Analysten, die nur von einer geringen Wahrscheinlichkeit sprechen, dass Russland aus diesem Krieg erfolgreich hervorgehen wird. Er verglich die Argumentation, mit der der Kreml seine Aggression zu rechtfertigen versucht, mit derjenigen, mit der das Nazi-Regime den Anspruch Österreichs auf eine unabhängige Existenz in Frage stellte, oder mit derjenigen, die der Schmälerung des tschechoslowakischen Territoriums im Jahre 1938 vorausging. „Es ist verdammt ähnlich, “ meinte der Zeitzeuge.

Nach Ansicht von Karel Schwarzenberg sollte die Tschechische Republik schon jetzt deutlich machen, dass sie keine Gebiete der Ukraine anerkennen wird, die Russland gewaltsam erworben hat Foto: Jonas Beck

Fürst Schwarzenberg bezeichnete die Reaktion Europas auf Putins Vorgehen als „relativ gut und entschlossen“ und lobte den Premierminister für seinen Besuch bei Wolodymyr Zelensky in der belagerten Hauptstadt Kiew. „Wir helfen der Ukraine, wie es nur ein kleines Land tun kann,“ sparte er nicht mit Lob für die Stellungsnahme seines Landes und verwies auf das anfängliche Zögern Deutschlands. Er erinnerte auch an eine Erklärung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vom Vortag, in der das deutsche Staats-Oberhaupt einräumte, dass er sich in seiner Politik gegenüber Russland geirrt habe. „Die meisten Politiker haben sich geirrt,“ räumte Schwarzenberg Steinmeiers Recht ein sich zu irren.

Er bezeichnete es als höchste Priorität, dass alle demokratischen Länder zu 100 Prozent hinter der Ukraine stehen. Er betonte, dass es nicht nur darum gehe, der Ukraine Hilfe, einschließlich Waffen, zukommen zu lassen, sondern auch darum, bei den Friedensverhandlungen eine klare Haltung einzunehmen. „Unsere Regierungen, die europäischen Regierungen und die Vereinigten Staaten können die Ukraine nicht zu einem Kompromiss zwingen, nur weil wir Frieden wollen. Wir sollten schon jetzt anderen europäischen Ländern und auch den Vereinigten Staaten gegenüber deutlich machen, dass wir keine von Russland gewaltsam erworbenen Gebiete anerkennen werden.“ In diesem Zusammenhang betonte Schwarzenberg, wie wichtig es langfristig war, dass die Vereinigten Staaten die Besetzung der baltischen Staaten nie anerkannt haben, auch nicht während ihres Bündnisses mit der Sowjetunion im Krieg gegen den Nazismus.

Barbara von Ow-Freytag: Lasst uns das pro-moskauische Weltbild revidieren und die Straßen rund um die russische Botschaft umbenennen wie die Tschechen

Barbara von Ow-Freytag, die mehrere Jahre an der Seite ihres Gattens, Botschfaters in der Tschechischen Republik, verbracht hat und im Vorstand des Prager Zentrums der Zivilgesellschaft sitzt, machte keinen Hehl aus ihrer Begeisterung über die Reaktion der tschechischen Zivilgesellschaft auf Putin und Russland. „Sie hat mich weit mehr überzeugt als mein politisches Umfeld,“ lobte sie die Tschechen und zählte die Namen ermordeter russischer Oppositioneller und neuerdings auch Bezüge zur Ukraine in den Namen umbenannter Straßen und sogar einer Brücke rund um die russische Botschaft in Prag auf. Die Politikwissenschaftlerin, die sich von Václav Havel inspirieren lässt, sieht darin einen Beweis für die Macht der Ohnmächtigen und ihre „Kleinarbeit“ und seufzt, dass sie sich das auch in Deutschland wünschen würde.

Politikwissenschaftlerin Barbara von Freytag (rechts) im Gespräch mit Danuše Siering Foto: Archiv der Redaktion

Sie beschrieb die ukrainisch-russische Grenze als „tektonische Grenze“ und als Treffpunkt zwischen einer frei denkenden Zivilgesellschaft und einer zunehmend autoritären Welt. Sie erinnerte daran, dass die Ukraine seit 1991 allen Versuchen widerstanden habe, sie diesem Modell zu unterwerfen, und eine völlig andere, horizontal organisierte Gesellschaft entwickelt habe, in der jeder einzelne Verantwortung trage. „Was früher als ‘Brüdernationen’ bezeichnet wurde, sind heute völlig unterschiedliche Länder,“ betonte sie und fügte hinzu, dass Putins Regime zu einem Zeitpunkt in die kleinere Ukraine einmarschiert sei, als es alle Ressourcen wirklicher Legitimität verloren hatte und sich nur noch durch Gewalt und Repression an der Macht hielt. „Die Möglichkeit des Wechsels der Machthaber sowie die Existenz individueller Freiheiten und Verantwortlichkeiten sind den autoritären Regimen – gerade in Bezug auf ein emanzipiertes Bruderland wie die Ukraine – ein Dorn im Auge und werden um jeden Preis zu überwinden versucht.“

Als Hauptaufgabe des Westens bezeichnete sie auch dessen Einheit und die Lieferung von Waffen an die Ukraine. Sie wies auf die bereits erwähnte Lieferung von Tanks hin. „Ich muss sagen, dass die Tschechen sind uns im allen voraus,“ lobte sie das Nachbarland, ungeachtet des verhängnisvollen Einflusses von Präsident Zeman, der mit dem Kreml kollaboriert und die NATO-Verbündeten und EU-Partner untergräbt. „Die Tschechische Republik ist das erste Land, das dies tut,“ hobte sie das Handeln des neuen demokratischen Kabinetts in Tschechien hervor, woraufhin der Saal in der Mitte Berlins in Applaus ausbrach. „Wir müssen der Ukraine zu helfen diesen Krieg zu gewinnen. Das ist die einzigste Chance, dass dieser systemische Konflikt, aus dem Putin nicht aussteigen wird, zu Ende kommt,“ warnte Barbara von Ow-Freytag, die sich wünschte, dass Deutschland nicht nur Panzerfäuste sondern auch schwerere Waffen an die Ukraine entsenden würde.

Längerfristig hält sie es für wichtig, das allzu an Moskau-zentrierte Denken in der öffentlichen Debatte zu revidieren, das sich in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten offenbar ausgebreitet hat. „Wir müssen uns fragen, warum wir blind und taub sind und warum wir die Ukraine oder Weißrussland immer noch nicht politisch, sozial und menschlich ernst nehmen.“

Statt die Positionen des Kremls in „pseudozivilisatorischen Sozialforen wie dem Deutsch-Russischen Forum“ zu prüfen, die sich zu sehr am russischen Machtzentrum orientieren, wünscht sie sich Hilfe für die 300 000 freiheitsliebenden Russen und Weißrussen, die von ihren eigenen Regimen verfolgt werden. Denn in ihnen liegt die einzige Hoffnung, die Russland noch auf eine bessere Zukunft hat.

Thomas Brussig: Wir lassen uns zu sehr von der Kreml-Propaganda beeinflussen; die Ukrainer werden die EU nicht in schlammigen Gummistiefeln betreten

In einem Interview mit seinem Übersetzer, dem Botschafter Tomas Kafka, unterstützt der Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig den Anspruch der Ukraine auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Auf seinen Reisen in die Ukraine hat er sich in die Menschen dort eingefühlt. „Haben sie Angst, dass die Ukrainer in schlammigen Gummistiefeln hierher kommen?“ kommentierte er die eher zurückhaltende Haltung Brüssels.

Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig Foto: Jonas Beck

Brussig sagte, der Westen mache den Fehler, sich zu sehr von der Propaganda des Kremls beeinflussen zu lassen. Der „Zwerg Putin“ hingegen verdient für die bizarren Szenen mit der riesigen Tür und dem riesigen Tisch die gleiche Aufmerksamkeit, die Hitler von Charlie Chaplin bekommen hat. Brussig hat Putin bereits in einem Text entlarvt, den er den Theatern zur Produktion anbietet.

Der Tschechisch-Deutsche Salon 2022 fand am 5. Aprill statt Foto: Jonas Beck

Russland wird seiner Meinung nach nicht nur den Krieg verlieren, sondern auch die besetzte Krim aufgeben müssen. Der Autor bezweifelt jedoch die Bereitschaft Deutschlands, sich auf mögliche Verhandlungen mit Vertretern Russlands über das Schicksal der Ukraine einzulassen. Er verwies insbesondere auf die Haltung seiner Verteidigungsministerin und ihre gerade erst geäußerte Abneigung, gepanzerte Fahrzeuge in die Ukraine zu schicken. Sie wollte 5000 Helmen dorthin schicken,“ sagte er und erinnerte an die Momente der völligen Ratlosigkeit in den ersten Tagen der russischen Aggression, aus denen Deutschland dennoch hervorgegangen ist.

Der Tschechisch-Deutsche Salon in Berlin fand unter der Schirmherrschaft des tschechischen Botschafters in Deutschland Tomáš Kafka statt. Der nächste Salon N&N wird am 27. Juni in der tschechischen Hauptstadt unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters von Prag 1 stattfinden.

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