Eva Dungl mit ihrem Sohn Oskar Foto: Vojtěch Hönig
„Als ich als Medizinstudentin zu Praktika ins Krankenhaus kam, war das die Hölle. Wie man in Tschechien mit jungen Ärzten umgeht, ist fürchterlich. Es gibt zu wenig Ärzte, sie tragen eine riesige Verantwortung und niemand betreut sie fachlich. Ich wusste schon an der Universität, dass ich ins Ausland gehen werde“, beschreibt Eva, die aus Kroměříž stammt, die Gründe für ihren Weggang. Die junge Frau, die derzeit in Elternzeit ist, hat zwei Hochschulstudien absolviert: Neben der Medizin widmete sie sich auch noch der Biologie. Sie spricht außerdem vier Fremdsprachen: Französisch, Russisch, dazu fließend Englisch und jetzt auch noch Deutsch. Trotzdem arbeitete sie am Anfang ihres Aufenthaltes in Berlin als Putzfrau.
Ich traf Eva zufällig wegen einer Reportage, für die ich sie als Interviewpartnerin ansprach. Von Anfang an wusste ich, dass genau so eine Geschichte ins Buch muss. Eva und ihr Mann sind nämlich ein typisches Beispiel für ein trauriges tschechisches Phänomen: den Brain-Drain der tschechischen Intelligenz nach Westen, weil ihnen der tschechische Staat keine adäquaten Bedingungen bieten kann.
Eva ging nach Deutschland, als sie 27 war. Berlin war eher eine zufällige Wahl, als sie zusammen mit ihrem Mann darüber nachdachte, wo sie leben und arbeiten wollen. „Wir wollten irgendwo hin, wo es nicht weit und sprachlich nicht so schwer ist. Und in Deutschland haben Ärzte bessere Bedingungen als beispielsweise in Großbritannien. Und so fiel die Wahl irgendwie direkt auf Berlin, weil ich nicht in eine kleine Stadt in der Nähe der Grenze wollte“, beschreibt Eva, die ursprünglich überhaupt kein Deutsch konnte, und so lernte sie die Sprache noch vor ihrer Abreise intensiv. Ihr Medizinstudium schloss sie im Sommer 2016 ab, im Herbst desselben Jahres begann sie, Deutsch zu lernen, und bereits im Februar 2017 verließ sie das Land. Mit dem Wissen, dass Berlin nah war und sie, wenn es nicht klappen würde, wiederkäme. Das ging ihr am Anfang oft durch den Kopf, denn der Start in dem fremden Land war für sie und ihren Mann knallhart.
„Hätte ich gewusst, wie schlimm das würde, hätte ich es vielleicht nicht gewagt“, kommentiert sie das heute. Eva kämpfte mehr als ein Jahr mit den Behörden und wartete auf die Anerkennung ihres tschechischen Bildungsabschlusses, ehe sie Arbeit in ihrem Fachgebiet suchen konnte. Sie musste auch mehrere Sprachprüfungen ablegen, zum Beispiel in Medizindeutsch. Anfangs wohnte sie zusammen mit ihrem Mann, der in Berlin ein Stipendium an einer Universität bekommen hatte, im Studentenwohnheim und verdiente ihr Geld mit Gelegenheitsjobs. Unter anderem übersetzte sie aus dem Englischen oder machte Wohnungen sauber, malerte oder putzte Fenster. „Wir sind nicht ausgegangen und haben vor allem Kartoffeln gegessen – die waren am billigsten“, beschreibt die Ärztin ihre Anfänge.
Eine harte Nuss war für das junge Paar die Wohnungssuche. „Keiner von uns konnte einen Arbeitsvertrag oder Schufa-Auskunft vorweisen, die bei der Wohnungssuche essentiell sind“, meint Eva und fügt hinzu, sie habe täglich bis zu 30 Inserate abtelefoniert, ohne Erfolg. „Meistens meldeten sie sich nicht mehr oder haben gleich abgesagt. Auch wenn wir angeboten haben, ein Jahr im Voraus zu bezahlen“, schildert sie die frustrierende, verzweifelte Suche. Als sich dann endlich jemand meldete und sagte, er würde ihnen die Wohnung vermieten, nahmen ihr Mann und sie sofort an.
“Hätte ich gewusst, wie schlimm das würde, hätte ich es vielleicht nicht gewagt“, meint Eva Dungl. Foto: Vojtěch Hönig
Auch in den schlimmsten Momenten hielt sie der Gedanke über Wasser, einmal ihre Traumstelle als Ärztin zu bekommen, und dass sich all diese Entbehrungen irgendwann auszahlen würden. Arbeit in Berlin fand zuerst ihr Mann, der bei der dortigen Universität beschäftigt wurde. Eva fand nach den Irrungen und Wirrungen bei der Anerkennung ihres tschechischen Bildungsabschlusses eine Stelle an einem Krankenhaus außerhalb von Berlin. Schon am Anfang nahm sie die großen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem tschechischen Gesundheitswesen wahr, weshalb sie ihre Heimat verlassen hatte. „In Tschechien störte mich am meisten der Umgang mit den jungen Absolventen und das System der Weiterbildung. Niemand widmet sich den jungen Ärzten. Hier in Deutschland durfte ich nach meinem Arbeitsbeginn im Krankenhaus nicht einmal allein zu einem Patienten gehen. Immer war ein erfahrener Arzt dabei, der mir alles zeigte und erklärte und mir Ratschläge gab. Es ist ein völlig anderer Umgang“, sagt sie. Das tschechische Gesundheitswesen, das sie über Praktika an der Universität kennenlernte, erinnert sie eher an eine klassische tschechische Filmszene: Die Ärzte verbeugen sich bei der Visite vor der Putzfrau, vor der alle Angst haben. „Die Putzfrau ist in diesem Film im Krankenhaus die wichtigste Person von allen. Wenn die dem Chefarzt sagt, dass er jetzt nicht ins Zimmer darf, weil sie gerade gewischt hat, muss er draußen warten. Nach der Putzfrau kommen die Schwestern, die oft arrogant sind und keinen Respekt vor den jungen Ärzten haben. Diese Kombination trägt nicht wirklich zu einem guten Arbeitsklima bei – die Leidtragenden sind die Patienten“, sagt Eva ehrlich.
In dem deutschen Krankenhaus in Treuenbrietzen, wo sie eine Stelle in der Rheumatologie bekam, war sie zufrieden. Die Kollegen nahmen sie nett auf, nur manchmal ließ sie jemand spüren, dass sie keine Deutsche war. „Zum Beispiel, wenn ich einen Patienten behandelte, der mit Hakenkreuzen tätowiert war, hatte ich kein gutes Gefühl“, meint Eva, die wieder eine Stelle suchen muss. Letztes Jahr kam nämlich ihr Sohn Oskar zur Welt, und sie ging in Elternzeit. Während der Coronakrise gründete sie in den sozialen Netzwerken die deutschsprachige Initiative Masken für Jeden, um das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit zu unterstützen. In Deutschland war man damit nämlich sehr zögerlich, und darin unterschied sich der Kampf gegen die Coronakrise in beiden Staaten deutlich. „Es hat mich gestört, dass die deutschen Institutionen zuerst einfach ignorierten, dass ein Mund-Nasen-Schutz Sinn hat. Obwohl das auch Chefvirologe Christian Drosten propagiert und betont hat“, sagt Eva, deren Gruppe nun etwa dreitausend Mitglieder zählt.
“Auch in Berlin sind sich die Nachbarn näher als in irgendeiner tschechischen Kleinstadt”, lobt Eva die Stimmung in der Hauptstadt. Foto: Vojtěch Hönig
Wie hoch ist ihrer Meinung nach die Mauer zwischen beiden Völkern? „Über die Deutschen habe ich zu Hause zwei Dinge gehört: erstens, dass sie sich an Regeln halten und zweitens, dass sie sehr kühl sind. Was das Erste betrifft, so muss ich dem auch nach meinem Umzug nach Deutschland zustimmen. Das Zweite stimmt nicht, im Gegenteil, die Menschen lächeln einander oft auch auf der Straße an, und auch in Berlin sind sich die Nachbarn näher als in irgendeiner tschechischen Kleinstadt“, beschreibt Eva, die nicht auf Vorurteile gegenüber Tschechen gestoßen ist. „Was mich aber immer wieder aufs Neue überrascht, ist, wenn jemand sagt, ich sei aus der Tschechoslowakei. Das passiert ständig. Auch 27 Jahre nach der Aufspaltung der Tschechoslowakei. Und dabei sind wir Nachbarn!“
Auch wenn Eva ihre berufliche Laufbahn in Deutschland begonnen und dort eine Familie gegründet hat, ist ihr das Land bisher noch nicht ans Herz gewachsen und sie hat Heimweh. Auch Freunde hat sie bisher nur unter Ausländern. „Ich lebe immer noch in der Vorstellung, einmal nach Hause zurückzukehren. Vielleicht, wenn wir genug für eine eigene Wohnung verdient haben. Aber ich weiß auch nicht, was sich im tschechischen Gesundheitswesen ändern müsste, dass ich zurückgehe“, meint Eva abschließend, die meiner Ansicht nach mit ihrer außergewöhnlichen Kämpfernatur und ihrer Entschlossenheit sicher ihren Weg gehen wird. Und es ist schade, dass die Tschechische Republik solche Talente ziehen lässt.