Im Dom der heiligen Barbara in Kutná Hora in dem Jahr 2012. Foto: Archiv
Der Historiker Jiří Fajt, dessen Name mit vielen akademischen Titeln dekoriert ist, ist ein wirklicher Globetrotter. Als er nach Berlin zog, hatte er bereits längere Studienaufenthalte in Österreich und in den Vereinigten Staaten hinter sich, außerdem einen frischen Doktortitel für Kunstgeschichte von der Karlsuniversität Prag. Damals arbeitete er bei der Nationalgalerie als Direktor der Sammlung Alte Kunst und gründender Direktor des Zentrums für mittelalterliche Kunst. Ende März 2000 entschied er sich jedoch, alles fallen zu lassen und ein neues Leben in einem anderen Land zu beginnen. Die Nationalgalerie verließ er freiwillig aus Protest gegen den damaligen Direktor, Milan Knížák. „In Tschechien laugte mich die Situation damals ziemlich aus, und mein Traum war es sowieso gewesen, die eigenen Fähigkeiten jenseits der Grenzen auszuprobieren“, erinnert sich Jiří Fajt an die Gründe, warum er seine Frau und seine zwei kleinen Kinder im Schulalter im September 2001 einpackte und seinen Wirkungskreis definitiv nach Deutschland verlegte.
Er nutzte damals das Angebot einer Gastprofessur an der Technischen Universität Berlin. Gleichzeitig war er im nahegelegenen Leipzig am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) tätig, wo er an einer Reihe von wissenschaftlichen Forschungs-, Ausstellungs- und Publikationsprojekten beteiligt war. „Als ich damals nach Berlin kam, hatte ich nur Grundlagenkenntnisse in Deutsch, an die ich mich noch aus der Schule erinnerte. Anfangs hielt ich meine Vorlesungen an der Universität daher auf Englisch, aber das war nicht das Wahre. Ich begriff bald, dass mich die Sprachbarriere doch daran hinderte, engere Beziehungen mit den Studenten zu knüpfen. Schon im 2. Semester in Berlin entschied ich mich daher, meine Vorlesungen auf Deutsch zu halten“, ergänzt Jiří Fajt, der anfangs seine Vorlesungen detailliert schriftlich vorbereiten musste.
Der Umzug war eine große Veränderung, nicht nur für ihn, sondern auch für den Rest der Familie. Seine Kinder gingen damals in die erste und die vierte Klasse. „Sie wussten nicht so recht, worum es geht, und konnten kein Wort Deutsch. Wir haben sie wortwörtlich ins kalte Wasser geworfen. Meine Frau hat sich ihnen sehr gewidmet, als Stoffrestauratorin mit einer freieren Arbeitszeit, sie hat ihnen bei den Hausaufgaben geholfen und und ist mit unserem Sohn sogar die ersten Wochen in der Schule geblieben“, fügt der Historiker hinzu, wobei den Kindern die Integration jedoch leicht von der Hand ging und sie die Sprache schon nach einem halben Jahr gelernt hatten. „Sie haben nicht mal richtig mitgekriegt, was für eine große Veränderung sie durchleben. Ich denke aber, dass sie nie darunter gelitten haben, eher im Gegenteil. Bis heute ist das für sie und ihr Leben eine riesige Investition“, sagt Fajt, der sich in seiner Karriere insbesondere der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunst und der Architektur in Mittel- und Mittelosteuropa widmet.
Deutsch hat er mit der Zeit perfekt gelernt, sodass die Sprache heute für ihn ein absolut natürliches Kommunikations-Tool ist, auch in seinem Fach: Gerade auf Deutsch publizierte er seine grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten. An der TU Berlin habilitierte er z. B. 2009 mit einer Schrift zum Thema „Der Nürnberger Maler Sebald Weinschröter im Netzwerk von Kaiserhof und Patriziat“. Außerdem hielt er Vorlesungen an der Humboldt-Universität und nahm später das Angebot einer Gastprofessur an der Prager Karlsuniversität an, wo er mehrere Semester lang Doktoranden betreute. So war er es natürlich gewohnt, zwischen den beiden Metropolen hin- und herzupendeln, was ihm auch zugute kam, als er Direktor der Nationalgalerie in Prag war – eine Stelle, die er im Sommer 2014 antrat.
Jiří Fajt in Prag mit Seiner Heiligkeit Dalai Lama, 2017. Foto: Archiv
Das fehlende Autogramm des Präsidenten
Während er im internationalen Umfeld von den deutschen und anderen ausländischen Kollegen sehr freundlich angenommen worden war und dort niemand „unter die Gürtellinie“ zielte, kann er das von Tschechien nicht sagen. Als im Juni 2014 zum 2. Mal habilitierter Dozent erfüllte Jiří Fajt erfolgreich alle gesetzlichen Bedingungen und schloss das Verfahren zur Ernennung zum Professor an der Prager Karlsuniversität ab. Die Bewertungskommission sowie beide Wissenschaftlichen Räte empfahlen die Erteilung des Titels, auch die tschechische Regierung stimmte ihr zu. Letztendlich lehnte der tschechische Präsident, Miloš Zeman, es jedoch ab, das Ernennungsdekret zu unterzeichnen.
Einige Medien sehen dahinter eine persönliche Rache des Präsidenten, Jiří Fajt beschreibt es als peinliche internationale Schande. „Mir war das sehr unangenehm, der Präsident hat sich auf mich eingeschossen, auch wenn wir uns nie persönlich kennengelernt haben. Ich kann also nicht genau sagen, was ihn eigentlich an mir stört. Das ist unbegreiflich und insbesondere am Anfang war mir das ganz schön unangenehm, diese Angelegenheit erhielt schließlich internationale Aufmerksamkeit, darüber schrieben zum Beispiel die New York Times und der Guardian.
Natürlich war das auch in den deutschen Medien ein großes Thema, heute habe ich mich allerdings an diese Aufmerksamkeit schon irgendwie gewöhnt“, ergänzt er mit einem Lächeln. Ein weiterer bekannter Medienskandal ist seine Abberufung als Chef der Nationalgalerie durch den damaligen tschechischen Kultusminister Antonín Staňek 2019. Auch dahinter stecken einigen Medien zufolge der Einfluss von Präsident Zeman und Rache an Fajt, der im letzten Präsidentschaftswahlkampf seinen Gegenkandidaten öffentlich unterstützt hatte.
In seiner Berliner Wohnung, 2012. Foto: Archiv
Ein Vorteil eines Großen Landes
Gerade in der gestörten politischen Kultur sieht Fajt einen der größten Unterschiede zwischen Deutschland und Tschechien. „Die politische Kultur ist ebenso wie die Arbeitskultur in Deutschland sehr anders. Das liegt unter anderem auch an der Fläche und der Einwohnerzahl. Die tschechische Gesellschaft mit zehn Millionen Einwohnern, im Vergleich zu 80 Millionen in Deutschland – das ist ein beträchtlicher Unterschied. Wenn Sie zum Beispiel mit jemandem in einer leitenden Funktion in Tschechien in Konflikt geraten, können Sie im Prinzip gleich das Fach wechseln.
Wenn Ihnen das in Deutschland passiert, gehen Sie einfach an eine andere Institution in einer Stadt, die etwas weiter weg liegt – das Land ist groß genug und bietet so viele Möglichkeiten für einen Neuanfang. Und in Deutschland wird auch viel mehr auf tatsächliche berufliche Qualifikationen und Fähigkeiten geachtet als auf freundschaftliche Verhältnisse, was (leider) in Tschechien häufig der Fall ist“, macht Fajt auf die unterschiedlichen Bedingungen in beiden Ländern aufmerksam. Dabei degradiere dieser Umstand häufig die Qualität des Berufsumfelds und senke die Möglichkeit einer objektiven Bewertung der Arbeitsergebnisse.
Obwohl Fajt wiederholt von der Situation in seinem Heimatland enttäuscht sein könnte, hegt er definitiv keinen Groll gegen Tschechien. Er bekennt jedoch, dass er zwei Heimaten hat: Deutschland und die Tschechische Republik. „Manchmal ist der Vergleich von Tschechien und Deutschland ganz schön deprimierend, was mir persönlich zwar leid tut, aber umso stärker versuche ich dann, einen Spiegel vorzuhalten und die Dinge zum Besseren zu ändern. Ich werde jedoch nie vergessen, wo ich geboren wurde. In Tschechien habe ich vierzig Jahre meines Lebens verbracht und ich nehme es also als selbstverständliche Pflicht wahr, den vielen tollen Leuten zu helfen, die hier wohnen und die sich ab und zu in unserem tschechischen Tümpel verlassen fühlen“, schließt der Historiker unser angenehmes und langes Gespräch ab.