Martin Krafl: Die Frankfurter Buchmesse ist mit der Sportolympiade vergleichbar

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Die Frankfurter Buchmesse hat nach zwei Jahren Abstinenz wieder ihre Tore eröffnet. Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Buchmesse 2021 in einem sehr begrenzten Rahmen statt. Der tschechische Ausstellerstand fehlte aber nicht. Die Koje war in eine Bibliothek mit tschechisch-deutschen Titeln umgewandelt. Martin Krafl, Koordinator der Tschechischen Republik für die Buchmessen, unterstreichte im Interview für das N&N Magazin einmal mehr die Bedeutung der Frankfurter Buchmesse. Und die Hoffnung, dass Tschechien 2025/2026 Ehrengast der bedeutendsten Buchmesse der Welt sein könnte.

Martin Krafl und Danuše Siering an dem tschechischen Stand der Frankfurter Buchmesse. Foto: Archiv

Die Frankfurter Buchmesse findet nach zweijähriger Corona-Pause wieder statt. Es ist die erste Messe überhaupt, die in Frankfurt, auf dem drittgrößten Messegelände der Welt, nun mit den Besuchern stattfinden kann. Wie sind Ihre Gefühle, wieder dabei zu sein?

Es war sehr emotional, besonders am ersten Tag, als ich die Ständer sah und manche Kollegen wiedersehen konnte. Die Eröffnungsfeier mit dem Ehrengast Kanada war schon etwas trauriger. Nur 300 Personen aus der ganzen Welt waren eingeladen, wir durften niemanden aus der kanadischen Delegation persönlich begrüßen, und keine der beiden Online-Übertragungen aus Kanada funktionierten nicht. Es hat kein Networking stattgefunden, manchmal spürte man Unsicherheit und Angst in den Augen der Gäste, und es fehlte an Spontaneität. Die Situation hat jedoch auch ihre positiven Seiten. Während der Messe haben wir mehr Zeit, miteinander zu reden. Das Knüpfen neuer Kontakte ist jedoch viel schwieriger. Es ist eine etwas andere Messe, aber alle sagen Gott sei Dank.

Wie wird die tschechische Literatur Ihrer Meinung nach allgemein in der Welt wahrgenommen?

Ich würde die Resonanz der tschechischen Literatur in der Welt in drei Zeitepochen unterteilen, wobei ich mich mehr auf die Leser in Europa konzentriere. In den USA oder Asien kann man von keiner generellen Bekanntheit der tschechischen Literatur sprechen, eher nur von Solitären.

In der Vorkriegszeit waren es vor allem Karel Čapek und Jaromír Hašek, die bis heute zu den bekanntesten tschechischen Autoren weltweit gehören. In den 1960er bis 1980er Jahren erregte eine Welle von im Ausland lebenden Tschechen wie Pavel Kohout und Milan Kundera, aber auch Václav Havel, Bohumil Hrabal und Jaroslav Seifert, unser einziger Literaturnobelpreisträger, mehr Aufmerksamkeit. Die Tschechoslowakei hätte sicherlich mehr zu bieten gehabt, aber vor der Wende war es nicht leicht Übersetzer zu finden. Das hat sich nach der Samtenen Revolution geändert, und mehrere tschechische Autoren sind heute auch in Europa bekannt.

Die Frankfurter Buchmesse findet nach zweijähriger Corona-Pause wieder statt. Foto: archiv

Welche tschechischen Schriftsteller sind in Deutschland gefragt? Statistiken zeigen, dass 10 % der deutschen Bevölkerung angeben, täglich ein Buch zu lesen; 30 Millionen Bücher (gedruckt und elektronisch) werden jedes Jahr in Deutschland verkauft, mit einem Umsatz von 9 Milliarden Euro. Gibt es unter ihnen auch tschechische Autoren?

Zu den bekanntesten gehören sicherlich Jaroslav Rudiš, der sehr authentisch wirkt und die deutsche Sprache perfekt beherrscht, Radka Denemarková, die überzeugend komplizierte Geschichten thematisieren vermag, und Jáchym Topol mit seiner überragenden Qualität der Texte; schließlich schreibt er ein Buch in zehn Jahren. Aber die Palette der tschechischen Autoren ist deutlich breiter. Seit wir auf der Leipziger Buchmesse 2019 fast 80 neue Übersetzungen auf den deutschsprachigen Markt gebracht haben, hat die Bekanntheit der tschechischen Literatur einen großen Sprung nach vorn gemacht. Das bringt aber auch die Herausforderung mit sich, gegenwärtige literarische Persönlichkeiten in Deutschland vorzustellen, wie z. B. Kateřina Tučková, Iva Procházková, Marek Toman, Viktorie Hanišová, Alena Mornštajnová, Petra Hůlová u.w.

Jedes Jahr hat die Buchmesse ein Ehrengast, dieses Mal Kanada. Die Tschechische Republik ist einer der fünf Kandidaten für 2025/2026. Wie sehen Sie die Chancen und was würde ein Sieg für unser Land bedeuten?

Die Frankfurter Buchmesse ist mit der Sportolympiade vergleichbar; sie wäre eine einzigartige Gelegenheit, nicht nur die Literatur, sondern auch die tschechische Kultur als Weltmarke zu präsentieren. Es wäre ein Gewinn für die gesamte Branche der Verleger, Autoren, Grafiker, Übersetzer… Kulturminister Lubomír Zaorálek hat mit dem Direktor der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos, eine Absichtserklärung unterzeichnet, in der die Kandidatur für 2025/2026 bestätigt wird. Die Bewerbung muss bis Juni 2022 eingereicht werden, das Ergebnis wird im Juli 2022 bekannt gegeben. Und die Chancen? Ich halte sie für großartig. Der Erfolg auf der Leipziger Buchmesse war unsere Eintrittskarte und wir wollen daran anknüpfen.

Wo sehen Sie persönlich die Zukunft des gedruckten Buches?

Meine Generation, ich bin ein Husák Kind, wird höchstwahrscheinlich immer gedruckte Bücher lesen. Aber meine Patentocher zum Beispiel nimmt in die Hände gedruckte Bücher nur in anderen Sprachen. Pandemie hat gezeigt, dass das gedruckte Buch lebt, und die gesamte Förderung der Buchwelt hat in Deutschland sehr gut funktioniert. Ich sehe das Buch noch Jahrzehnte lang auf unseren Nachttischen liegen.

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Frankfurter Buchmesse in Corona-Zeiten
Es war vieles anders, wie sonst gewöhnt, aber die Freude bei der größten Content-Messe der Welt zu sein, war bei Ausstellern und Besuchern gleichermaßen unübersehbar. Noch im Jahr 2019 strömten mehr als 300.000 Besucher auf die Buchmesse und fast 7500 Aussteller aus 104 Ländern waren live dabei. Diesmal konnten aber nur 25 000 Teilnehmer die Messe pro Tag besuchen und mit nicht mal 1/3 der Aussteller wirkten die Hallen und Aussteller-Boxen ziemlich leer. 

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