🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: O vlaku, kde se mladí Češi a Němci potkají s drogami – úplně jinak, než byste čekali
Der Multimedia-Zug mit sechs Waggons und vier Kinosälen fährt quer durch Tschechien und Deutschland. In ihm lernen Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren spielerisch die Folgen einer Sucht kennen. Wir sprachen über das Projekt REVOLUTION TRAIN mit Jan Lamser, einem Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung NOVÁ ČESKO, die das Projekt leitet, auf der Konferenz New CZ-DEal – Czech-German Cooperation 2022, die von Black Swan Media mit Unterstützung des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland organisiert wurde.
Sie sagen, dass sich ein junger Mensch im revolutionären Zug virtuell überdosieren kann. Wie sind Sie auf so eine Idee gekommen?
Das Problem eines jungen Menschen besteht darin, sich in der Welt, in der wir leben, zurechtzufinden. Er steht am Anfang des Lebensweges, auf dem ihm viele positive Dinge begegnen können, der aber auch von Risiken, wie Drogen und verschiedenen Formen der Sucht, bedroht ist. Darüber, dass diese Risiken für die Gesellschaft als Ganzes und für die Familie schwer zu bewältigen sind, herrscht weitgehende Einigkeit. Die üblichen Instrumente zur Vorbeugung erzielen bei weitem nicht den erwünschten Erfolg, und die Gründe dafür wären eine eigene Konferenz wert. Das Team unter der Leitung von Pavel Tuma, der die treibende Kraft es gesamten Projekts ist, hat deshalb einen interessanten Ansatz gewählt.
Die Teilnehmer gelangen im Rahmen des Programms also virtuell an verschiedene Orte, die sie sonst nicht besuchen könnten?
Das klingt ein bisschen nach Science Fiction, und unser Projekt kommt ihr in der Tat ziemlich nah, aber es geht natürlich um die soziale Erfahrung. Um sich vorzustellen zu können, was eine Sucht und schließlich eine Überdosis mit einem selbst und den Menschen, die einem nahestehen, machen kann, wäre es am besten, entschuldigen Sie, zu sterben, aber obendrein zu spüren, was das mit der Mutter gemacht hat. Ein derartiges essentielles kontextuelles Erlebnis fügt dem ansonsten gefährlich niedrigschwelligen Vergnügen des Trips, das wir nicht einmal vermitteln müssen, ein Erfahrungskorrelat hinzu. Es ist nicht irgendwie gekünstelt, wir machen keine Angst, wir belehren nicht, wir versetzen die Teilnehmer in die Situation und lassen sie diese erleben. Und dann ist da noch ein Aspekt – wenn wir etwas erleben und es für uns behalten, bedeutet das noch lange nicht, dass wir damit umgehen können. Unser Ansatz muss daher durch die Möglichkeit ergänzt werden, unsere Erfahrung mit anderen zu teilen.
Wie also muss man sich den REVOLUTION TRAIN in der Realität vorstellen?
Das Projekt besteht darin, junge Menschen zwischen 12 und 17 Jahren mit einer Geschichte zu konfrontieren, die sich tatsächlich zugetragen hat. Wir zeigen ihnen einen Film über eine Gruppe von Teenagern, die mit Drogen in Berührung gekommen und auf unterschiedliche Weise damit umgegangen sind. Einige von ihnen haben definitiv nicht gut abgeschnitten. Die Geschichte ist in mehrere Sequenzen unterteilt, die jeweils in einer Modellsituation gipfeln. An dieser Stelle bricht der Film ab, und die Gruppe im Waggon findet sich plötzlich in der gleichen Realität wieder, in der der Film geendet hat. Zum Beispiel in einer Bar, einem Verhörraum, einem Gefängnis oder vor Ort eines Autounfalls, wo jemand unter Drogeneinfluss eine andere Person überfahren hat.
Wie groß ist eine solche Gruppe von „Ausflüglern“?
Das Programm ist auf etwa 17 Personen ausgelegt, die auf geschulte Art und Weise durch die interaktive Geschichte geführt werden. Nach dem Ende des Films kommt es zu einigen sehr realistischen Situationen, z. B. wenn man von einem Polizisten mit Drogen erwischt wird, Handschellen angelegt bekommt und sich in einem Verhörraum wiederfindet. Die Geschichte endet in einem unbewohnten Haus, die Umgebung ist sehr authentisch, visuell und geruchlich, man erlebt das “mit allen Sinnen”. Anschließend wird kurz darüber nachgedacht, was sich eigentlich abgespielt hat und wie die Situation wahrgenommen wird. Je nach den Umständen wählen wir zwei oder drei Teilnehmer aus und lassen sie darüber nachsinnen, wie sie die gegebene Situation gelöst hätten, sie zu rekapitulieren und gemeinsam zu reflektieren.
Gelingt es immer, eine Diskussion anzustoßen?
Die Kinder müssen einen Kreis des Vertrauens aufbauen; einige Modelle der Psychotherapie, der Seelenpflege – “Seelsorge”, aber auch die berühmten Anonymen Alkoholiker arbeiten nach diesem Modell. In ihm können sich junge Menschen ihre Erfahrungen anvertrauen. Und das ist etwas ganz Besonderes. Das ist etwas, was es sonst nicht gibt, denn Jugendliche sind es nicht gewohnt, ohne Stilisierung intim miteinander zu reden, über direkte Erlebnisse und Gefühle. Jedenfalls nicht mit ihren Eltern und schon gar nicht mit Autoritätspersonen oder Lehrern. Übrigens entsteht durch unsere Erlebnisse im Zug ein Nebeneffekt, wobei der Lehrbeauftragte, oft ein von uns geschulter örtlicher Polizeibeamter, bei den Jugendlichen durch das, was sie mit ihm im Zug erlebt haben, eine ganz neue Ebene des Vertrauens in die öffentliche Verwaltung schafft.
Welche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass es sich um ein Spiel handelt?
Ein Spiel oder vielmehr eine Simulation hat etwas Reales, eine Spielsituation, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, kommt einem realen Erlebnis nahe. Es trägt auch dazu bei, Vertrauen zwischen den Teilnehmern aufzubauen, indem es das schafft, was wir eine Spielgemeinde nennen. Spielen ist von Natur aus ein freundliches Umfeld. Wenn man mit jemandem spielt, ist man in gewissem Sinne gleichberechtigt und sich nah. Drogen sind auf eine perverse Art und Weise auch eine gemeinschaftliche Sache, aber diese Erfahrung kann auch umgedreht und in etwas Positives verwandelt werden. Wenn man ein so einzigartiges Erlebnis in einem intimen Kreis hat, ist es ähnlich wie bei einem spannenden Kinobesuch – es bleibt eine tiefere Erinnerung, weil man es auf eine intime Art und Weise erlebt hat.
Die Tschechische Republik ist ein großer Exporteur von Crystal Meth nach Deutschland, daher müssen es die deutschen Polizeibeamten begrüßen, dass unser Land neben Problemen auch einige Lösungen anbietet. Wie würden Sie die Erfahrungen in beiden Ländern vergleichen?
Wir verbringen etwa die Hälfte unserer Einsatzzeit in Deutschland und die andere Hälfte in der Tschechischen Republik. Es ist erstaunlich, wie ähnlich die Einstellungen der jungen Menschen in beiden Ländern sind. Das Programm ist deshalb, weil es in unserem Land entstanden ist, stark kulturell geprägt. Es enthält Szenen aus dem Fußball, Familienmuster, Humor… Wir hatten Befürchtungen, es könnte Widerstand hervorrufen oder lächerlich sein, wenn wir es einfach ins Deutsche übersetzen und über die Grenze fahren. Aber völlig überflüssig, alles läuft wie am Schnürchen, niemand wundert sich über irgendetwas, unser Programm musste in keiner Weise abgewandelt werden. Die Nähe der Tschechischen Republik zu Deutschland ist bemerkenswert, wenn es Unterschiede gibt, sind alle in der Lage, sich über sie hinwegzusetzen.
Wie sieht es mit den staatlichen Behörden und der Anti-Drogen-Szene aus?
Wir haben in beiden Ländern vergleichbare Erfahrungen. Aus den unterschiedlichsten Gründen lehnen viele Menschen das Programm ab. So wie Drogenkriege toben, werden heute auch Kriege um Geld für die Prävention geführt. Und ich muss sagen, dass es auch im Anti-Drogenkrieg Eigeninteressen gibt, dass viel Geld im Spiel ist, und dass es leider manchmal Leute gibt, die mehr an ihrem eigenen Vorteil interessiert sind als an der Prävention. An dieser Stelle sei erwähnt, dass von den Gesamtmitteln, die der Staat für die Drogenprävention ausgibt, nur drei Prozent in die Primärprävention fließen, und der größte Teil davon in eindeutig unwirksame Programme. Es reicht einfach nicht aus, in eine Schule zu gehen und die Dinge dort wie ein Lehrer zu erklären. Doch diese Programme sind gut etabliert, sie sind eine gute Einkommensquelle vieler Menschen, sie haben ihre institutionelle Basis, ihr administrativ gedecktes Budget. Sie haben Einfluss und Geld, und betrachten unser Programm als Bedrohung. In der Tschechischen Republik zum Beispiel wird die Drogenpolitik über das Regierungsbüro und das Bildungsministerium koordiniert, dem wir ein Dorn im Auge sind. Andererseits finden wir starke Unterstützung, insbesondere auf der Ebene von Bürgermeistern und Institutionen, die nicht ihre “traditionellen” Drogenprogramm-Favoriten haben. In Tschechien arbeiten wir sehr gut mit der Polizei der Tschechischen Republik zusammen, in Deutschland mit den Städten und Landkreisen… Das liegt auch an den von Ihnen erwähnten Besonderheiten. Äußerst agil sind wir im Grenzgebiet, wo Crystal Meth aus der Tschechischen Republik ein großes Thema ist und sich unser “Zug”-Modell der Primärprävention, der “tschechische Weg”, enorm gut bewährt. In Deutschland agieren wir in mehreren Bundesländern, und außerhalb der Grenzgebiete sind wir zum Beispiel in Thüringen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen tätig. Ansonsten gibt es sowohl in Tschechien als auch in Deutschland trotz gelegentlicher Widerstände einiger Anti-Drogen-Institutionen immer genügend Menschen, die unser Projekt begeistert unterstützen. Während in der Tschechischen Republik meist Einzelpersonen, z. B. Unternehmer, das Projekt wahrnehmen und uns Erfrischungen für die Kinder bringen, ist es in Deutschland dagegen oft ein Bürgerverein auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene, der sich für das Projekt einsetzt. Besonders erwähnenswert ist die gute Zusammenarbeit mit dem deutschen Rotary Club.
Wie erklären Sie sich den Unterschied?
Das Vereinsleben in Deutschland ist viel breiter angelegt als in der Tschechischen Republik. Die Unterstützung, auf die wir in Deutschland nicht verzichten könnten, erfolgt auf organisierter und institutioneller Basis. In den einzelnen Bundesländern gelten unterschiedliche Bedingungen, da jedes Land seine eigene Regierung hat.
Durch den Aufbau von Vertrauen bei der Aufklärung im REVOLUTION TRAIN können Sie mit den jungen Menschen auch über andere Themen als Drogen sprechen…
Wir versuchen, diese Arbeit mit so viel Abstand wie möglich anzugehen. Wir decken die genannten kritischen Situationen auf, kommentieren sie geringfügig, aber belehren niemanden, wir liefern nur grundlegende Informationen. Wir versuchen zu respektieren, dass ein Mensch in diesem Alter noch auf der Suche nach sich selbst ist, wir wollen ihm kein festes Rezept geben, eher ein Spielschema, nach dem er lernen kann, mit sich selbst umzugehen. Dadurch dringen wir aber auch in den Bereich des Bewusstseins ein, wo andere kognitive Methoden, wie z.B. Schulvorträge, meist versagen. Wir gehen den Kindern wirklich unter die Haut. Bis heute haben mehr als 250 000 Teilnehmer unser Programm absolviert, davon 70 000 in Deutschland, was eine stattliche Anzahl ist.
Wie lässt sich das nutzen?
Unsere jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind bereit, vor und nach dem Programm eine halbe Stunde lang einen Fragebogen auszufüllen und zusätzlich zu ihrem Feedback eine Reihe von Fragen zu diversen Themen zu beantworten. Sie äußern zum Beispiel ihre Einstellung zu Tabak, Alkohol oder Zucker, und es ist unwahrscheinlich, dass sie sich etwas ausdenken. Zu diesen Themen gibt es keine nationale Datenbank. Das Ausmaß unserer Erkenntnisse ist beispiellos in Europa, außer in Island, wo man Ähnliches ins Leben gerufen hat. Wir stellen sie den Gemeinden, Städten und Schulen in anonymisierter Form zur Verfügung, damit sie eine Vorstellung davon bekommen, womit sich die Kinder beschäftigen, welche Themen sie ansprechen und was sie dagegen nicht so sehr interessiert.