Jiří Surůvka

Kompromisslos, mitunter in seiner Wahrheit fast grausam, mit großem Sinn für Ironie und schwarzen Humor. Als Performer präsentiert er vor allem die Absurdität des Lebens. Der Patriot aus Ostrava und Künstler von Weltformat Jiří Surůvka hatte nie ein Problem damit, die eigene Haut zu Markte zu tragen.

Du stehst in Kontakt mit vielen Kollegen im Ausland. Wem fühlst du dich am meisten verbunden und warum?

Nun, ich habe wirklich viele Freunde auf der ganzen Welt, mit denen ich durch dick und dünn gehen kann, auch wenn wir uns nur gelegentlich sehen. Am Anfang war es in der Regel ein Symposium oder Stipendium, wo wir eine Woche, mehrere Monate oder ein Jahr zusammen waren. Dann haben wir begonnen, uns gegenseitig zu unterstützen und zusammenzuarbeiten. Wir sind so eine Art Mafia.

Berlin ist einer der Orte, wo du ausgestellt hast. Was gefällt dir daran?

Zum ersten Mal war ich 1968 in Berlin. Im Rahmen eines Ostseeurlaubs, als wir erstmals ans Meer gefahren sind und auf dem Rückweg in der Hauptstadt der damaligen DDR haltgemacht haben. Ich kann mich im Grunde nur an das Brandenburger Tor erinnern und meinen Schock darüber, dass es von Absperrungen und Sandsäcken umgeben war und überall Soldaten standen. Dahinter war es öde, nur eine Straße und Wald (ein Park). Wir durften uns nicht einmal nähern. Ich fragte meinen Vater, was hinter dem Tor ist, ob wir dort hinkönnen. Mein Vater wurde nachdenklich und sagte, dass dort der Westen sei. Viel mehr hat er nicht dazu gesagt, wir haben ein paar Fotos gemacht und sind wieder zurück. Ich dachte, es gäbe dort Indianer und Cowboys. Auf dem Rückweg nach Hause trafen wir an der tschechischen Grenze auf Kolonnen russischer Panzer und Autos, an Kreuzungen regelten russische Militärs den Verkehr. Wir wurden mehrmals angehalten und die Pässe kontrolliert. Es war August 1968, kurze Zeit später marschierten die Truppen des Warschauer Pakts bei uns ein.

Und nach der Revolution, wie hast du die veränderte Atmosphäre wahrgenommen?

Zum zweiten Mal war ich erst 2002 in Berlin, während eines von Nordrhein-Westphalen finanzierten einjährigen Stipendium-Aufenthalts in Bad Ems, nahe Koblenz. Nach Berlin fuhr ich für ca. 14 Tage auf Einladung einer Kollegin aus demselben Studienprogramm, die kurz vorher von Mainz nach Berlin „umgesiedelt“ war. In den darauffolgenden Jahren zogen nach und nach auch weitere Stipendienkollegen aus dem besagten Jahr 2002 dorthin um. Insgesamt waren wir zehn: sechs Deutsche, ein Ungar, eine Engländerin und eine Schweizerin. Alle außer zwei sind nach dem Stipendium nach Berlin gezogen. Aus diesem Grund habe ich dann oft in Berlin ausgestellt oder performt, auf Einladung von Galerien und Organisationen, die mit meinen Freunden zusammenarbeiteten. Einige Ausstellungen hat auch die tschechische Seite organisiert, das Tschechische Zentrum u. a. Oder jemand ganz anderes hat mich eingeladen.

Da war es bereits eine völlig andere Stadt. Das Brandenburger Tor war nicht mehr undurchlässig, im Gegenteil, es stand wieder im Zentrum einer vereinigten Stadt, des vereinigten Deutschlands. Die Soldaten waren weg, die Touristen wurden immer mehr. Berlin war nach 40 Jahren erneut die deutsche Hauptstadt und eine neue europäische Kulturmetropole. In die Stadt zogen junge Künstler und junge Leute aus der ganzen Welt. Der frühere Ost-Stadtteil Mitte wurde zu einem Viertel mit vielen kleinen Galerien, deutschen und internationalen. Es entstanden neue Kunstmuseen, Galerien, Stadtviertel, Restaurants, Klubs, kurzum – ein nie dagewesener Boom und Aufschwung. Das früher isolierte Westberlin brachte seine Punk-Szene ein, inoffizielle Kunstinitiativen, Squatting expandierte in den Ostteil. Die Street Art an der Berliner Mauer ist zwar physisch mit der Mauer selbst verschwunden, aber nicht aus der Stadt. Im Gegenteil, sie hat sich etabliert. Und an diesem Kunstbrunnen habe ich mich in den letzten zwanzig Jahren gern von Zeit zu Zeit beteiligt.

Was fehlt dem gegenüber tschechischen Städten?

Vieles. Ich spreche jetzt vom Verhältnis zur bildenden Kunst. Einerseits haben in Berlin zwei mächtige Organisationen zur Förderung der deutschen Kunst ihren Sitz: der BBK für alle Künstler, einschließlich Pädagogen, und der Künstlerbund, etwas exklusiver für aktive Künstler. Bei uns gibt es noch nichts Dergleichen. Das Gegenstück zur früheren sozialistischen Künstlerunion vegetiert dahin, wobei die langsam aussterbende Mitgliederbasis aus vor 1989 aufgenommenen Künstlern besteht. Danach wollte keiner mehr eintreten. Etwas Neues gibt es nicht, soziale Vorteile wie in Deutschland auch nicht, vom System der Stipendien und Fördermittel des Staates und privaten Sektors ganz zu schweigen. Ateliers von der Gemeinde zur Miete haben wir nicht, geeignete Gebäude lässt der Staat bislang lieber leer stehen, statt für weniger Miete Künstlern zu überlassen.

Welchen Vorteil/Nachteil haben die Studenten im Vergleich zu deiner Generation?

Sie sind im Nachteil, sie glauben nicht, einmal reiche und berühmte Künstler zu werden, weil sie wissen, dass das fast unmöglich ist. Das haben wir zu Beginn der 90er Jahre nicht gewusst. Sie haben keinen krankhaften Ehrgeiz. Sie sind jung und gesund und zu vernünftig. Häufig Vegetarier oder sogar Veganer. Ihnen liegt die globale Erwärmung am Herzen. Das eigene Schicksal ist ihnen durch das Prisma der künftigen Apokalypse nicht so wichtig. Und sie werden den Eltern bis zu deren Tod auf der Tasche liegen, oder zumindest bis sie dreißig sind. Aber auch heute gibt es Ausnahmen, und das stimmt auch mich vorsichtig optimistisch.

Wer hat Dich am meisten beeinflusst?

Zu Beginn das Lesen von Belletristik und Abenteuerromanen. Der Ausflug in die Vorstellungswelt, kurzum, am Anfang das geschriebene Wort. Außerdem Kneipen, das Studium des Lebens in seinen widerlichsten Situationen, verschiedene schmutzige Arbeiten, die Armeezeit, das Studium, Alkohol und Drogen (glücklicherweise gab es hier in den 70er Jahren nicht viel davon, sonst würde ich heute nicht mehr leben), dann verschiedene Künstler, die mir gefielen, Polen, zwei Jahre Armee, die Beobachtung von allem mit den Augen und das Nachdenken darüber, was ich sehe, erlebe, das Leiden in der totalitären Gesellschaft, kommunistischer Marasmus, der Zweite Weltkrieg aus der anderen Perspektive der sozialistischen Kultur, Lehrer, Familie, Freunde, also niemand und nichts richtig, sondern alles zusammen. Die Welt!

Du drückst dich als Künstler durch verschiedene Mittel aus. Welches davon sagt dir am meisten zu und warum?

Wahrscheinlich Performance – dort kommt meine Message sofort rüber, ich bin dabei und der Zuschauer kann mit mir diskutieren. Ich mache gern Perfomance im öffentlichen Raum, wo ein Großteil meines Publikums gewöhnliche Passanten sind, die kaum eine Galerie betreten würden. Dabei trägt man zwar seine Haut zu Markte, und die Sache hat ihre Risiken – ich kann geschlagen oder gelyncht werden, aber das ist mir noch nicht passiert. Im Gegenteil, ich kann die Blasiertheit des scheinheiligen Galeriepublikums nicht ab und streite mich lieber mit einem überraschten Menschen von der Straße, als überhaupt kein Feedback von den Leuten zu bekommen, die aus Snobismus erscheinen und Unsinn schwafeln. Der Homo vulgaris, der vom Geschehen überraschte und neugierig gewordene Passant, der von sich aus zuschaut, der versucht herauszufinden, was ich ihm damit sagen wollte, und mich zu Beginn des Dialogs attackiert, auch physisch, weil er aus der Fassung gebracht wurde – so einer ist mir lieber.

Ich habe die Erfahrung, dass mir gelingt, über das Problem, auf das ich verweise, einen sinnvollen Dialog mit dem Zuschauer zu führen, und wir gehen anschließend beide bereichert – mindestens um die Sichtweise des anderen – nach Hause. Das hat nichts mit Populismus zu tun, ich versuche nicht, jemanden zu manipulieren, sondern biete nur meine Meinung zum Nachdenken an und freue mich, dass sich der Empfänger um seine eigene Auslegung des Gesehenen bemüht und mir diese bestenfalls mitteilt… Deshalb veranstalte ich seit 1994 mit Freunden in Ostrava ein Performance-Festival und besuche gern welche auf der ganzen Welt.

Foto: Karin Zadrick

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