Warum die Deutschen den König von England lieben

Die tschechisch-englische Journalistin und Autorin eines Buches über Elisabeth II., Anastázie Harris, schreibt über die bemerkenswert enge Beziehung zweier großer Rivalen – England und Deutschland. Und dass der neue Monarch, Charles III., die wahre Verkörperung dieser besonderen Verbundenheit ist.

🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Proč Němci milují anglického krále

„Ja, und hier rechts habt ihr es auch zerbombt“, sagt ein Freund der Familie jedes Mal (und mit einer starken Anschuldigung in der Stimme), wenn er uns durch Frankfurt zu seinem Haus fährt. Und mein englischer Ehemann auf dem Beifahrersitz neben ihm kontert etwas in dem Sinn: „Wir haben nicht angefangen….“.  

Bald sind es achtzig Jahre seit Ende des Zweiten Weltkriegs, aber die Generation der heute 60-Jährigen kommt immer wieder auf ihn zurück. Mich als Tschechin fasziniert die Beziehung zwischen den Engländern und den Deutschen trotz einem Vierteljahrhundert meines Lebens „auf den Inseln“ immer noch. 

Und nicht nur ihre erbitterte Rivalität bei Fußballspielen der  Spitzenklasse. Es ist die Fähigkeit, sich gegenseitig zu irritieren, einer den anderen zu provozieren, der heftige Austausch von Argumenten, aber auch der gegenseitige Respekt und die tiefe Freundschaft. Und der unerfüllte (aber selten laut ausgesprochene) Wunsch, ein bisschen mehr wie der andere zu sein…

Mein noch nicht volljähriger Sohn in London zieht in der Schule Deutsch dem Französisch vor, verschlingt die Geschichte der modernen Kriegsführung und findet den modernen deutschen Pazifismus exotischer als einen tropischen Dschungel. Die Intensität, mit der die Briten und die Deutschen füreinander empfinden, hat mich überrascht; sie ist den Gefühlen von Familienmitgliedern näher als denen von bloßen Freunden.

„Warum spricht Charles so gut Deutsch?“ fragte die Bild-Zeitung, nachdem der König Anfang des Jahres seine Rede im Bundestag gehalten hatte. Dabei brachte der Monarch die anwesenden Abgeordneten in ihrer Muttersprache immer wieder zum Lachen. „In dem Augenblick, als er Kraftwerk erwähnte, hatte er unser Herz erobert“, gab einer von ihnen amüsiert zu. Daheim hingegen benörgelten sie ihren Mona-rchen, dass er seine Rede stockend gehalten habe, wogegen das Deutsch seines Vaters, Prinz Philip, geradezu fließend war. (Und vielleicht zum ersten Mal seit Kriegsende fügte die britische Boulevardpresse nicht in einem Atemzug hinzu, dass drei der vier Schwestern von Prinz Philip mit Naziführern verheiratet waren. Sophie zum Beispiel war mit ihrem Ehemann SS-Oberführer auf der Hochzeit von Göring.)

Aber lassen Sie uns ein Stück zurück in die Vergangenheit gehen. Nach dem Krieg sah das verarmte England keineswegs wie eine Siegermacht aus. Der brillante Lord John Maynard Keynes erlitt einen Herzinfarkt, als er mit den Amerikanern darüber verhandelte, seinem Land die Kriegsschulden zu erlassen (und als das nicht gelang, dann wenigstens zu kürzen). 

Churchill musste 1953 die Rationierung von Butter und Zucker gegen den Widerstand der Wirtschaftswissenschaftler aufheben. Damit versuchte Winston anlässlich der Krönung von Elisabeth II., dem verarmten britischen Volk einen besseren Start in ein neues elisabethanisches Zeitalter zu ermöglichen. Und in dieses England wagte sich 1956 Theodor Heuss, der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Sein Empfang in der englischen Öffentlichkeit war (wenig überraschend) eiskalt. Die junge Königin bemühte sich deshalb, die Aufmerksamkeit des deutschen Staatsoberhauptes auf die kleine Gruppe zu lenken, die sich zu einigen Begrüßungsrufen hinreißen ließ. Der für seine Herzlichkeit bekannte deutsche Politiker reagierte mit Takt und Humor, was Elisabeth II. damals entzückte: „Fünfundachtzig Prozent dieser Ausrufe sind für Sie und der Rest – für die Pferde.“

Als die Königin dann bei einem Bankett die Verflochtenheit der Familie mit dem deutschen Adel erwähnte, empörte sie ihre Untertanen. Sie brauchten nicht daran erinnert zu werden, dass die britische Königsfamilie bis 1917 keinen bürgerlichen Nachnamen trug, sondern stolz auf den Namen der deutschen (und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs heftig verhassten) Dynastie war, der sie angehörte: Sachsen-Coburg-Gotha. 

Elisabeths Großvater beschloss daher, den Namen abzulegen. In Europa wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein Thron nach dem anderen gestürzt, doch der englische Adel hat einen starken Selbsterhaltungstrieb. Auf Anregung des Königs suchte sein Privatsekretär nach einem weniger provokanten Namen und schließlich siegte der Vorschlag, der königlichen Familie einen Nachnamen (wie ihn jeder andere Bürger hat) zu verschaffen und sich Windsor zu nennen. Der bescheidene Nachname hatte den Vorteil, dass er nicht an die Bombardierung der Zivilbevölkerung Londons (durch deutsche Gotha-Bomber im Juni 1917) erinnerte. Der Name stammt von einem Schloss aus der Antike und hatte einen erhebenden, durch und durch englischen Klang.

Beide Weltkriege schürten den Hass gegen die Deutschen. Und es war die Angst vor den populistischen Stimmungen ihrer Wähler, die die Politiker der Siegermächte 1918 antrieb, was sich später als tragischer Fehler erwies. In Versailles weigerten sie sich, die harmlosere Option der Reparationen zu wählen. Und es war (natürlich) ein Engländer, der vehement protestierte: “Das Leben von Millionen  Menschen zu entwürdigen, einer ganzen Nation das Glück zu verwehren, sollte abscheulich und widerwärtig sein… Warum Deutschland Jahr für Jahr im Elend und seine Kinder hungern lassen? John Maynard Keynes verließ aus Protest sogar die Bank of England und versuchte, Deutschland zu helfen, seine kaputte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Jedoch nur eine gewisse Zeit, denn: er hasste den deutschen Imperialismus und den Hass der Nazis auf die Juden. 

Kehren wir nun in die Zeit des Eisernen Vorhangs zurück. 1965 kam Elisabeth wieder nach Berlin. Die abgeschnittenen Ostdeutschen versuchten, über die Mauer einen Blick auf sie zu erhaschen. Der Besuch hinterließ einen starken Eindruck bei ihr. Die Königin, die während des Krieges zur Kfz-Mechanikerin ausgebildet wurde, liebte Autos, und Prinz Philip bewunderte die deutsche Technik. Sie fühlten sich in Deutschland wohl und willkommen und kehrten oft zurück. (Charles wurde zum ersten Mal mitgenommen, als er dreizehn war.) Die Königin war fünfzehn Mal zu einem Staatsbesuch in Berlin!

Als im vergangenen Jahr der Krieg in der Ukraine ausbrach, klafften die Rhetorik und der diplomatische Stil der englischen und deutschen Politiker weit auseinander. Bundeskanzler Scholz verkündete unter donnerndem Beifall des Bundestages die Zeitenwende, doch dann passierte scheinbar nichts. Er trieb seine Verbündeten – und insbesondere seine aktionsfreudigen britischen Kollegen – in den Wahnsinn. Schaut man sich jedoch die Zahlen an, so stellt sich heraus, dass Großbritannien und Deutschland die Ukraine mit Abstand am meisten militärisch und finanziell unterstützt haben. In jeder europäischen Statistik liegen sie dicht beieinander, Frankreich und die übrigen hinken weit hinterher.

Die Franzosen sahen sich (sehr zum Leidwesen Macrons) gezwungen, den ersten Auslandsbesuch von König Charles abzusagen, weil sie befürchteten, ihn nicht vor ihren eigenen leidenschaftlich protestierenden Bürgern schützen zu können. Die Deutschen hingegen rollten den roten Teppich aus und empfingen den alten Jungkönig triumphal und herzlich zugleich. Nur die extremen Linken waren wütend, dass sich die rechtmäßig gewählten Abgeordneten dem Monarchen anbiederten. Warum haben die modernen Deutschen eigentlich ein Faible für die königliche Familie? Die britischen Steuerzahler sind immer noch bereit, den Pomp der zeremoniellen Monarchie zu bezahlen. Die glitzernde Pracht der Hofuniformen, all die Borten, Fransen, Goldfäden, Silbersäbel… Seltsamerweise sind sie nicht lächerlich. Und sie lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Träger eine besondere Rolle, einen besonderen Status, einen präzisen und festen Platz hat. Und unsere Welt aus Polyester, Baumwoll-Sweatshirts und eintönigen Anzügen verstärkt diesen Effekt der schillernden Pracht vergangener Zeiten nur noch.

Und dank der konsequenten Säuberung von der Nazi-Vergangenheit fehlt es den Deutschen zwangsläufig an (absurden) Symbolen und Ritualen, die sie mit ihrer monumentalen Vergangenheit verbinden würden. Ein deutscher Soldat, der sich auf dem Schlachtfeld einen Namen gemacht hat, bekommt heute nicht einmal einen Orden für Tapferkeit. Es gibt keinen. Die Diskussion über die Wiedereinführung des Eisernen Kreuzes endete in einem Fiasko. Es geht um einen alten Orden, Hitlers Schatten jedoch verbietet es vielen, ihn zu akzeptieren. 

Und so füllt der König – als willkommener Verwandter (wenn auch mit einem neuen Nachnamen) – sanft eine Lücke im poetischen Gedächtnis einer großen Nation. Und Charles III. liebt, wie seine Mutter, die Geschichte, er versteht die Deutschen und spricht ihre Sprache.

PS. Die Engländer verdanken den Deutschen sogar den Zauber von Weihnachten. Es war Prinz Albert, der eine damals unbekannte Neuheit in England einführte – den Weihnachtsbaum. Das Bild der königlichen Familie um eine geschmückte Fichte erschien in einer Zeitschrift, zog die Menschen in seinen Bann, und der neue Weihnachtsbrauch verbreitete sich schnell in Großbritannien.

Als mein Sohn acht Jahre alt war, mussten sie in der Schule eine Weihnachtszeichnung anfertigen. Tom hatte sorgfältig gezeichnet, wie englische und deutsche Soldaten an Heiligabend während des Ersten Weltkriegs innehielten und nicht aufeinander schossen. Sie kamen aus den Schützengräben, schmückten einen Baum und spielten gemeinsam Fußball. Der Schüler hatte, wenn auch unbeholfen, so doch ergreifend, ein reales historisches Ereignis dargestellt. 

Dieser Artikel erschien in der vierten Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag

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