Nicolaische Buchhandlung: Bücher bleiben weiter beliebt, sie sind wie ein Kino im Kopf

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Die Leute werden weiterhin Bücher kaufen – sie brauchen einfach das Kino im Kopf, meint Martina Tittel, die Inhaberin der bekannten Nicolaischen Buchhandlung in Friedenau – der ältesten Buchhandlung Berlins.

🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Majitelka berlínského knihkupectví: Knihy zůstanou v oblibě, jsou jako kino v hlavě

1713 erhielt Christoph Gottlieb Nicolai das königliche Privileg für die von ihm erworbene Buchhandlung. Er gründete sie in der Brüderstraße 13 (heute Nicolaihaus) in Berlin. Der Gründer hat nicht nur die Buchhandlung geführt, gleichzeitig musste er Bücher schreiben und drucken. „Wenn man im 18. Jahrhundert Bücher verkaufen wollte, musste man selber für seinen Nachschub sorgen,“ erklärt Martina Tittel, die erste Frau in der Reihe der verschiedenen Käufer der ältesten Buchhandlung Berlins und der zweitältesten Buchhandlung Deutschlands.

Die heutigen negativen Einflüsse – erst mal Corona, dazu noch der Krieg, sorgen für einen massiven Preisanstieg. Trotzdem möchte man aber immer noch ein Buch in der Hand halten und dran riechen zu können. Wie sehen Sie die Zukunft des Buchhandels?

Immer wieder kommen Leute in die Buchhandlung rein, die tief einatmen und bemerken, wie gut es bei uns riecht. Einmal ist ein Vater reingekommen mit seinem kleinen Sohn. Das Kind blieb stehen, atmete tief ein und sagte „ach, hier riecht es so nach Büchern!“

Achiv der Redaktion
Martina Tittel (rechts) im Gespräch mit Danuše Siering

Das Buch ist in den letzten hundert Jahren so oft totgesagt worden, aber es ist nie „gestorben“. Als das E-Book erfunden wurde, wurde gesagt „Totholzmedium“. Und jetzt, nachdem es das E-Book seit 15 Jahren gibt, sieht man, dass der Umsatzanteil von E-Books am Gesamtmarkt in Deutschland  5 Prozent nie Überstiegen hat, und jetzt sogar bei nur 4 Prozent liegt.

Ich kriege jede Menge Hybrid-Leser mit, die zwar ein Tablet oder ein Lesegerät haben, sie nehmen es aber nur in Urlaub, denn das Fluggepäck ist sehr teuer. Im Urlaub lesen sie digital, Zuhause wollen sie aber auf das Blättern nicht verzichten.

Was den Einfluss der Pandemie betrifft, der war gar nicht so negativ für die Buchbranche, zumindest da wo sie offenhalten durfte. Die Leute haben mehr gelesen. Als die Lockdowns waren, kamen sie zu uns in die Buchhandlung und haben Beschäftigungsbücher für die Kinder gekauft. Denn irgendwann ist das Fernsehen doof  und dann tauchen die Kinder ab, entweder in ein spannenden Roman – die Jugendlichen haben ganze Stapel gekauft – , oder sie wollen beschäftigt werden. 

Wir hatten in Berlin nämlich Glück gehabt, das die Buchhandlungen als systemrelevant anerkannt wurden und offenhalten durften.

Und jetzt mit der Aggression gegen die Ukraine?

Wir haben jetzt ein Phänomen, das wir zum Teil erwartet haben, weil alles wieder auf ist, d.h. die Gelder fließen wieder in alle Waren und bei uns die Frequenz etwas runter geht – und das ist auch so eingetroffen.

Und – verschärfend dazu – ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Leute haben Angst, sie sehen, dass sich alles verteuert, und halten ihr Geld mehr zusammen. Bei uns wird der Kauf pro Kunde kleiner.

Also auch der Umsatz…

Der Umsatz ist etwas runter gegangen, es ist aber noch nicht besorgniserregend. Das andere Problemfeld – Papierknappheit – führt dazu, dass die Bücher teurer werden. Ich gehe davon aus, dass die Leute das mitmachen und weiter ihre Bücher kaufen werden. Denn ob sie 2 Euro teurer sind oder nicht, das fällt nicht so stark ins Gewicht. Für uns Buchhändler ist es aber sehr wichtig.

Wir werden unseren Mitarbeitern jetzt irgendwann ab Mitte des Jahres, bis Herbst eine Lohnerhöhung geben müssen, um die Inflation auszugleichen – auch andere Kosten haben sich erhöht. Dazu kommt, dass der Mindestlohn für alle im Buchhandel Beschäftigten – jetzt von 9,82 auf 12 Euro steigt. Das ist sehr viel, das müssen wir finanzieren. Unsere Lieferkosten sind gestiegen, die Betriebskosten der Miete sind erhöht worden und es ist wirklich umfassend, welche Kostensteigerung wir erleben, von daher sind wir auf die Preissteigerungen beim Buch angewiesen.

Ich denke dennoch, dass die Leute weiterhin Bücher kaufen – sie brauchen einfach das Kino im Kopf. Das ist für viele Entspannung, zurückziehen, für sich sein. Das wird so weiter gehen.

Wie geht das Online-Geschäft?

Viele Buchhändler haben ihren Online-Shop, den sie in Kooperation mit einem der Großhändler machen. Das mache ich auch. Ich sage meinen Kunden, wenn Sie schon von vornherein einschätzen können, das ich dieses juristische Fachbuch nicht da habe oder diese medizinische Fachlektüre, dann gehen Sie in meinen Webshop, bestellen Sie dieses Buch zur Abholung zu mir in den Laden. Dann ist es versankostenfrei, und Sie ersparen sich die lange Schlange bei der  Post – bei mir ist die Schlange immer kürzer. Diesen Service schätzen die Leute immer mehr.

Was Russlands Krieg gegen die Ukraine betrifft, sind in Tschechien viele Initiativen entstanden, und zwar auch vom Buchhandel, wo ukrainische Kinderbücher, wie auch tschechisch-ukrainische Wörterbücher erschienen, die an Flüchtlinge verschenkt werden. Beobachten Sie etwas Ähnliches  auch in Deutschland? Was hat Sie vielleicht beeindruckt?

Wir nehmen solche Bälle gerne auf. Mich hat beeindruckt, daß ein Verlag ein ukrainisch-deutsches Wörterbuch online zu Verfügung gestellt hat, zwei weitere Verlage folgten. Das fand ich großartig. Wir haben es auch sofort aufgenommen. Wir haben einen „Rußland-Ukrajine-Kriegstisch“, da das Interesse an diesem Thema jetzt groß ist, und wir bewerben in diesem Zusammenhang auch das genannte Online-Wörterbuch.

Ein Kinderbuchverlag hat ein Pixi-Buch auf Ukrainisch herausgegeben. Es wird kostenlos an die Buchhandlungen gegeben, damit es umsonst an die Hilfsorganisationen und an Kinder weitergegeben werden kann. Da machen wir auch mit. Ich empfinde es als eine besondere Art ‘Willkommen’ zu sagen. Ich bekomme auch viel mit, das gespendet und gesammelt wird, in Kirchengemeinden, wie auch in verschiedenen Gruppen, die schon 2015 syrische Geflüchtete betreut haben. Auf private Initiative passiert sehr viel.

Mit Unterbrechungen sind Sie schon 45 Jahre in der Buchbranche tätig. Was hat sich in dieser Zeitspanne von fast einem halben Jahrhundert geändert?

Verlage sind grösser oder kleiner geworden, weggefallen oder neue entstanden. Eine Verdichtung der Verlagslandschaft ist erfolgt – die Wirtschaftsmacht hat sich konzentriert. Vor 45 Jahren gab es mehr kleine Verlage, die auch ganz klar linkspolitisch ausgerichtet waren – die gibt es heute nicht mehr oder sie sind nur noch ganz klein.

Damals waren auch die Filialisten nicht so stark, es gab kein Internet. Wir hatten große und eine Handbreit dicke Bücher, in den wir nachschlugen, wenn Kunden nach bestimmten Büchern fragten. Oder wir hatten 2 m lange Leporellos mit Durchschlag, wenn wir Taschenbücher bestellt haben. Und natürlich hatte man damals an die 30- bis 40- Tausend  Taschenbuchtitel im Kopf. Das haben wir heute nicht mehr, heute haben wir dafür den Computer.

Und was den Geschmack der Leser betrifft?

Das ist immer zeitbezogen, es sind eher die Themen der Zeit, die den Geschmack der Leser bestimmen.Wenn man ein altes Taschenbuch von Fischer oder Rowohlt von früher in die Hand nimmt, dann denkt man „Um Gottes Willen, was ist das für ein Satzspiegel’ – eine Riesenveränderung! Die Seiten waren fast bis zum Rand ausgereizt, ganz kleine Schrift, ein schlimmes Papier – und der große Satzspiegel nur, damit man nicht so viele Seiten verbraucht. Während wenn man sich die Taschenbücher von heute ansieht, die sehen einfach schön aus. Damals hat man sich mit der Covergestaltung zwar Mühe gegeben, aber die Cover waren längst   nicht so ästhetisch wie heute.

Wo sehen Sie den Buchhandel in 45 Jahren?

In jeder Generation ist gesagt worden: die Jungen Leute lesen nicht mehr. Falsch! Es wird weiterhin Bücher geben. Aus folgendem Grund: sie brauchen keinen Strom, Sie haben ein großartiges Gefühl, wenn Sie ein Buch in der Hand haben und langsam die linke Seite immer schwerer wird und die rechte Seite immer dünner, dann wissen Sie wissen, das Ende des Buches naht!

Droht dem Buch nicht, dass es zur Luxusware wird?

Warum haben wir Taschenbücher – es sitzen Leute in der S-Bahn oder U-Bahn und lesen ein Buch. Gleichzeitig gibt es Luxusbücher – die „coffee table books.“ Die sind sehr schön gemacht und die nimmt man auch nicht in die U-Bahn mit. Ein Buch wird meistens mit der Idee gekauft den Alltag – jemandem oder sich selbst – schön zu machen. Ein Buch ist und bleibt  ein Alltagsgegenstand.

Welche Titel sind heutzutage die Meistgefragten?

Am meisten wird das Buch von  Catherine Belton – Putins Netz gekauft. Ein tolles Buch, das beschreibt, wie der KGB Russland beherrschte und aktuell beherrscht, um sich nun auf den Westen zu konzentrieren. Alle weiteren Bücher, für die sich viele Kunden interessieren, haben eins gemeinsam – sie müssen ein Happyend haben.

Lesen sie auch, wie der Chef des tschechischen Verlags Albatros die Lage im Buchhandel sieht: Chef des Verlags Albatros: Wir wollen mit niemandem zusammenarbeiten, der diesen Krieg unterstützt

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