Corinne Winters: Rusalka aus Maryland

Wegen der Liebe zur tschechischen Musik begann sie, Tschechisch zu lernen. „Janáček und Dvořák haben mir so viel gegeben, dass das Erlernen ihrer Muttersprache das Mindeste ist, was ich für sie tun kann. Ich bin ein Glückspilz, dass ich sie in der Welt interpretieren kann“, sagt die amerikanische Sopranistin Corinne Winters, die im Herbst in Prag aufgetreten ist.

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Sie sind zum ersten Mal in Prag und proben tagtäglich. Hatten Sie bereits die Möglichkeit, hier etwas anzusehen?

Ich bin froh, dass ich außer den Proben im Rudolfinum die Hauptstadt Prag „spüren“ und mein Tschechisch täglich ausprobieren konnte. Prag ist für mich allein schon architektonisch absolut überwältigend! Ich liebe es zu laufen und bin an der Moldau entlang und auch über die Karlsbrücke gelaufen. Ich haben das Mucha-Museum, die Nationalgalerie und den beeindruckenden Vyšehrad-Friedhof mit den Gräbern von Antonín Dvořák und Bedřich Smetana besucht. Ich wollte die Atmosphäre Prags so weit wie möglich in mich aufnehmen. Meine Erwartungen wurden bestätigt, so dass Prag schon jetzt zu meiner Lieblingsstadt wurde!

Wir begegnen uns in Prag während des Internationalen Dvořák-Musikfestivals, wo Sie mit der Tschechischen Philharmonie und dem Dirigenten Jakub Hrůša aufgetreten sind. Mit welcher Erfahrung?

Ich bin mit der Tschechischen Philharmonie und Jakub Hrůša kurz zuvor bei den Proms in London aufgetreten. Jetzt haben wir ein Konzert im wunderschönen Dvořák-Saal des Prager Rudolfinums gegeben, wo die Akustik unbeschreiblich ist. Es ist ein atemberaubendes Gebäude, in dem ich die Aufführung sehr genossen habe. Die Zusammenarbeit mit Jakub Hrůša ist immer großartig, denn Jakub ist ein unglaublicher Musiker. Er ist Tscheche, er liebt die tschechische Musik und er glaubt an sie. Und das ist es, was ich an ihm liebe. Wir haben uns vor ein paar Jahren kennengelernt, und seitdem bin ich für jede Gelegenheit dankbar, bei der wir zusammen arbeiten. Auch das Orchester der Tschechischen Philharmonie und seine Solisten sind hervorragend. Übrigens haben wir bereits viele positive Reaktionen auf unsere gemeinsamen Konzerte in London erhalten.

Corinne Winters triumphierte als Katya Kabanova bei den Salzburger Festspielen 2022

Neben Jakub Hrůša haben Sie mit anderen bedeutenden tschechischen Dirigenten zusammen gearbeitet, vor allem dann mit Tomáš Netopil und Tomáš Hanus. Wie sehr haben diese Begegnungen Sie bereichert?

Jeder tschechische Künstler, mit dem ich je zusammen gearbeitet habe, hat mich um etwas Einzigartiges bereichert. Ich lerne immer etwas Neues über die Sprache, darüber, wie Musik interpretiert werden sollte und über tschechische Musiktraditionen. Ich habe mit allen tschechischen Dirigenten großartige Erfahrungen gemacht. Die klassische Musik ist ein fester Bestandteil der tschechischen Kultur, was in den Vereinigten Staaten, wo ich herkomme, nicht der Fall ist. Ich denke, die Tschechische Republik, oder zumindest Prag und Brno, die ich bisher persönlich besucht habe, sind der Stadt Wien sehr ähnlich, denn auch dort dreht sich alles um Kultur. Und das ist wirklich erstaunlich. Wenn ich mit tschechischen Dirigenten und anderen tschechischen Künstlern arbeite, fühle ich mich als Teil des Kulturlebens hierzulande.

Wann haben Sie zum ersten Mal eine Verbindung mit der Musik gespürt?

Ich bin in den Vereinigten Staaten geboren und im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht mit klassischer Musik aufgewachsen. Denn hier sieht man sie an jeder Ecke, und man muss sie nicht studieren. Mein Vater hat schon immer Musik geliebt, vor allem Pop, aber nicht Klassik. Ich habe von klein auf gesungen und er hat mich auf der Gitarre oder dem Klavier begleitet. Ich wusste, dass ich eine gute Stimme hatte. Meinen ersten Kontakt mit Musik hatte ich schon als Kind. Das war instinktiv. Als Zweijährige stand ich vor einem Spiegel und hielt einen Kamm als Mikrofon in der Hand. Meine Mutter sah mich an und sagte mir, dass aus mir sicher eine Künstlerin wird, weil ich immer sang und verschiedene Grimassen machte. Ich fing an, im Chor zu singen. Ich dachte, es sei nur zum Spaß. Später wurde mir klar, wie schwer es ist, sich in dieser Branche durchzusetzen. Ich habe am College Psychologie und Musik studiert. Aber die Musik gewann immer mehr die Oberhand, bis ich mich hauptberuflich mit ihr zu beschäftigen begann. Ich habe eine Zeit lang Cello gespielt, und seit fünf Jahren versuche ich, Klavier zu spielen, aber viel wird nicht daraus (sie lacht). Das Wichtigste für mich war von Anbeginn an das Singen.

Was war der erste Anstoß, in slawischen Sprachen zu singen?

Ich habe mich immer für die slawischen Sprachen interessiert. Ich bin zu fünfzig Prozent Ukrainerin, aber ich weiß nicht viel über diesen Teil meiner Familie, denn meine Vorfahren kamen mit einem Schiff nach New York und hörten dann auf, Jiddisch und Russisch zu sprechen, sie wurden Amerikaner. Vor einiger Zeit habe ich einen Bluttest machen lassen, um mehr herauszufinden. Nun weiß ich, dass die Familie meines Großvaters aus Kiew kam, aber ich weiß nicht, woher die Familie meiner Großmutter stammte. Mein Nachname Winters geht auf den Familiennamen meines Großvaters zurück, der Winicky hieß. Aber in Amerika änderte er ihn auf den Familiennamen Winters. Er war Jude und wollte sich dadurch von der alten Welt abgrenzen. Das Slawische habe ich also im Blut. Angefangen hat es mit gesungenem Russisch, das mir so natürlich vorkam, dass ich es während meines Studiums lernen wollte. Ich wollte so viel darüber lernen, wie ich konnte, wandte mich an einen russischen Coach, der mir bei der Aussprache der Sprache half. Bisher habe ich zwei Rollen in der russischen Sprache gesungen, eine dritte steht an, und ich würde gerne mehr machen. Russisch war das Tor zur slawischen Musik. Mit Káťa Kabanová und Halka kamen Tschechisch, Janáček, Salzburg und Brno dazu.

Ist Tschechisch schwierig für Sie? 

Tschechisch ist eine sehr schwierige Sprache, vor allem die Aussprache der Konsonanten „č“ und „ř“ ist sehr anstrengend. Als ich in Salzburg zum ersten Mal mit Jakub Hrůša gearbeitet habe, hat er mir gesagt, dass mein „ř“ zu weich klingt und dass ich noch viel daran arbeiten muss. Ich lerne seit zwei Jahren Tschechisch, aber ich lebe schon seit sieben Jahren in gesungenem Tschechisch. Ich habe also mehr Erfahrung im Singen, aber ich hoffe, dass ich bald fließend Tschechisch sprechen kann.

Was hilft Ihnen am meisten?

Ich habe mit einem Lehrbuch angefangen, aber darin lernt man nur das geschriebene Tschechisch. Man lernt zum Beispiel das Wort „kniha“ /“das Buch“, aber man hört das Wort „knížka“/ „das Büchlein“ jeden Tag. Aber im Alltagsleben sagt niemand „kniha“. Für mich persönlich klingen sie wie zwei verschiedene Wörter. Jetzt verstehe ich das, aber ich habe Zeit gebraucht. Wenn ich zum Beispiel in einer Kneipe sage: „Chci velké pivo“ (Ich möchte ein großes Bier), klingt das äußerst seltsam… aber ich mag das hiesige Bier wirklich (sie lacht). Tschechisch ist eine Sprache, in der es viele Unterschiede gibt, wenn es um geschriebenes und gesprochenes Tschechisch geht… Zum Glück habe ich einen Online-Lehrer, der mir mit verschiedenen Ausdrücken in Alltagssituationen sehr hilft. Man kann Tschechisch gut singen, auch wenn man es nicht spricht, aber es ist natürlich besser, wenn man die Sprache beherrscht. Neben meiner Muttersprache Englisch spreche ich auch Italienisch und Französisch. An der Oper haben wir Sprachtrainer, die uns bei der Aussprache helfen. Sie sind meist Pianisten und bauen Musik in den Unterricht ein.

Die Sopranistin Corinne Winters als Rusalka in der Oper von Antonín Dvořák.

An Opernsänger/innen werden heutzutage immer höhere Anforderungen in Bezug auf ihr Aussehen, ihre Kondition usw. gestellt. Wie halten Sie sich fit?

Wenn ich in Form bin, wirkt sich das natürlich nicht nur auf der Bühne aus, sondern auch auf meinen Atem beim Singen. Wenn ich aktiv bin, bleibt mein Körper gesund, was wiederum wichtig für meine Rollen ist. Denn sie erfordern heutzutage viel Gefühl und Bewegung. Ich bezeichne mich selbst als singende Schauspielerin – und mein Publikum weiß das auch von mir.

Für die Opernwelt sind Sie sowohl Káťa Kabanvá als auch Rusalka. Wie nehmen Sie diese Rollen wahr?

Káťa und Rusalka sind mir inzwischen vertraut, so dass ich die Übersetzung nicht im Kopf wiederholen muss, sondern automatisch weiß, was ich singe. Das ist natürlich viel besser. Janáček und Dvořák haben mir so viel gegeben, dass das Erlernen ihrer Muttersprache das Mindeste ist, was ich für sie tun kann. Káťa Kabanová ist ein Teil von mir, denn sie lebt instinktiv. In dieser großen Welt ist sie winzig, die Gesellschaft verurteilt sie, die Religion spielt eine große Rolle. Im wirklichen Leben ist sie wie ein Schmetterling oder ein Vogel, der fliegen will und Hoffnung in sich trägt. Aber sie wurde in die falsche Gesellschaft hineingeboren. Ich musste mich auf diese Rolle einstellen, ebenso wie auf Janáčeks einzigartigen Stil, den ich liebe.

Mit Káťa Kabanová gaben Sie vor kurzem Ihr Debüt in Brno. Wie war es dort?

Ich liebe Brno! Ich habe dort so viele junge Leute getroffen und die Energie dieser Studentenstadt gespürt. Ich habe Janáčeks Haus besucht, ich habe sein Klavier gesehen, auf dem er Káťa Kabanová komponiert hat, ich habe seine Manuskripte gesehen. Es war ein magisches Erlebnis! Janáček liebte die Frauen, er verstand sie. Die Frauenfiguren in seinen Werken, wie die Kostelnička, Káťa Kabanová, Jenůfa, Das Schlaue Füchslein und Elina Makropulos sind tiefgründig und kompliziert. Aber wenn man Janáčeks fantastische Musik dazu hört, ist es, als wäre man in einer anderen Welt. Das ist es, was Janáček einzigartig macht.

Dieser Artikel erschien in der siebten Ausgabe des Printmagazins N&N – Noble Notes