Prinzipal der Pantomime Radim Vizváry: Im nonverbalen Ausdruck fühle ich mich stärker

Ein weltweit anerkannter Mime, Choreograf, Regisseur und Pädagoge, dessen Traum es ist, die Tradition der tschechischen Pantomime wiederaufleben zu lassen. Das ist keine leichte Aufgabe, doch Radim Vizváry glaubt, dass die Hoffnung dort liegt, wo Glauben ist. Und gerade dies stellt er jetzt zusammen mit der Losers Cirque Company unter Beweis, mit der er das Theater im Prager Stadtteil Braník zu einer einzigartigen Bühne des Cirque Nouveau und der Pantomime umwandelt.

Wie sah ihr erster Weg zur Pantomime aus?

Zur Pantomime kam ich über das Puppentheater. Schon an der Oberschule mochte ich das Laientheater, damals kümmerte ich mich um die Puppen im Laientheaterverein Tyl in Polička. Ein Jahr vor dem Abitur erhielt ich dann die Möglichkeit, ins Profitheater hineinzuschnuppern, als ich einen Monat lang im Theater Minor in Prag residierte, nach dem Abitur wurde ich dann dort Kulissenschieber. Ich war jung und unerfahren, kam in die Großstadt und dazu noch in ein Profitheater. Diese Welt verzauberte mich natürlich. Im Theater Minor bekam ich dann ein Engagement und blieb schließlich vier Jahre. Diese Zeit war für mich persönlich so eine Art Hochschule, weil ich komplex den Betrieb eines Profitheaters kennenlernte, von den Kulissen kam ich auch in die Werkstätten, wo ich lernte, Kostüme zu nähen, Masken zu kaschieren, Puppen herzustellen, und natürlich begegnete ich auch unterschiedlichen Regisseuren, die mir oft sagten, ich würde mich ganz natürlich bewegen, und ich solle auf irgendeine Bewegungsschule gehen. Das hat dann für mich meine Kollegin aus dem Minor getan, die meine Anmeldung an den Lehrstuhl für nonverbales und komödiantisches Theater abschickte, wo ich anschließend aufgenommen wurde. Im ersten Semester war mein wichtigster Lehrer Boris Hybner, und gerade die Begegnung mit ihm war für mich wesentlich, denn seine Persönlichkeit und sein Charisma bezauberten mich.

Und was bedeutet die Pantomime für Sie als künstlerisches Genre?

Ich habe auf der Bühne nie gern gesprochen, eigentlich spreche ich allgemein nicht gern… Im verbalen Ausdruck bin ich nicht so selbstbewusst wie im nonverbalen. Ich denke, heute kann ich schon sagen, dass ich mich im nonverbalen Ausdruck stärker fühle und ich über Gesten, Bewegung und Emotionen mehr ausdrücken und meine Gedanken besser artikulieren kann. Das ist für mich die Pantomime. In einer sehr einfachen Geste kann ich eine innere Emotion oder einen Gedanken besser zum Ausdruck bringen als mit Worten. Außerdem ist die Pantomime ein komplexes interdisziplinäres Theater, das die verschiedensten Genres kombiniert.

Eine solche Verbindung ist auch Ihre Zusammenarbeit mit der Losers Cirque Company. Gemeinsam haben Sie dann die Ausschreibung für einen Mieter des Theaters in Braník gewonnen. Wie ist diese Verbindung entstanden?

Die Losers Cirque Company ist ein Ensemble des Cirque Nouveau, mit dem ich mich zusammengeschlossen habe, als ich eine Kombination gerade von Cirque Nouveau und Pantomime ausprobieren wollte, und ich muss sagen, dass wir uns menschlich gleich prima verstanden haben. Das ist immer die Basis für jegliches Schaffen. Synergie und menschliche Verbindung bedeutet für mich viel mehr als mich zu einer Verbindung mit irgendeinem Genre ohne menschliches Verständnis und Sympathien füreinander zu zwingen. Und da auf der Grundlage dieses Schaffens auch erfolgreiche Vorstellungen entstanden sind, bot mir die Losers Cirque Company eine Zusammenarbeit mit mehr Tiefgang an. Genauso wie sie wollte ich immer mein eigenes Theater haben, und so haben wir unsere Träume vereint und schaffen nun in Braník eine Bühne für den Cirque Nouveau und Pantomime. Leider ist die Situation derzeit nicht günstig, denn die Kultur ist nun sehr eingeschränkt, doch so haben wir wenigstens Zeit für die Rekonstruktion.

Sie kommen auch mit einem neuen Namen. Theater BRAVO! Ich ahne darin ein Stück von Braník…

Wenn Sie Branické divadlo (Theater Braník) schreiben, dann finden Sie in diesen Wörtern die Buchstaben, die das Wort BRAVO ergeben. Außerdem ertönte in Braník stets ein „Bravo!“, und wir möchten, dass es dorthin zurückkehrt.

Sie haben schon gesagt, dass Sie in den Vorstellungen Cirque Nouveau und Pantomime verbinden. Machen Sie das immer so, oder sind einige Vorstellungen rein pantomimisch und einige nur Vorstellungen des Cirque Nouveau?

Derzeit besteht das Repertoire aus Vorstellungen der Losers Cirque Company aus der Zeit, als wir noch nicht zusammen agiert haben, und auch meinen überwiegend Solo-Vorstellungen. Gleichzeitig laufen Vorstellungen, die den Anstoß zu unserer langfristigeren Zusammenarbeit gaben, zum Beispiel die Vorstellung Heroes, wo Akrobatik vorherrscht, doch die Hauptrolle darin spiele ich, als bringe ich dort den pantomimischen Charakter ein. Allerdings muss man sagen, dass wir voneinander lernen, und das gefällt mir. Ich bringe den Akrobaten Pantomime bei, sie mir wiederum Akrobatik. Das machen wir natürlich absichtlich, denn wenn wir die Stilrichtungen schon verbinden, wollen wir nicht, dass sie auf der Bühne nebeneinanderstehen, sondern dass es auch in der Interpretation zu einer Fusion kommt. Derzeit haben wir eine neue Familienvorstellung für Kinder mit dem Titel Mimjové [Mimjas], wo Pantomime vorherrscht.

Worin ist eine pantomimische Vorstellung für Kinder besonders?

In allem. Einerseits wollten wir den Kindern diese Form näherbringen, andererseits wollten wir irgendein nichttraditionelles Genre oder eine Poetik verwenden, also haben wir die Poetik von Actiontrickfilmen ausprobiert wie Kung Fu Panda, die Ninjas und so weiter. Das Ergebnis sind eine Geschichte voller Abenteuer und Spannung, aber auch ein visuelles Schauspiel.

Worin ist das BRAVO! Ihrer Meinung nach außergewöhnlich?

Gerade durch diese Verbindung von Cirque Nouveau und Pantomime. Aus der Geschichte wissen wir, dass der Cirque Nouveau und die Pantomime immer nebeneinander funktionierten, und in Tschechien gibt es derzeit kein Theater, das über eine ständige Bühne für Vorstellungen von Cirque Nouveau und Pantomime verfügt.

Was für eine Tradition hat die Pantomime in Tschechien?

Bereits seit den 50-er Jahren gibt es eine starke Pantomimentradition. Ladislav Fialka, Boris Hybner, Bolek Polívka, das sind bedeutende Künstler, die die tschechische Kultur und Pantomime in der Welt repräsentiert haben. In unserem Genre war beispielsweise das Ensemble von Ladislav Fialka Pantomima Na zábradlí sehr bedeutend. Die Pantomime hat also ähnlich wie das Puppentheater in Böhmen eine große Tradition. Nach diesen drei großen Namen kam aber nichts nach, und unsere Generation versucht nun, an den ursprünglichen Ruf und die Berühmtheit der tschechischen Pantomime anzuknüpfen und dieses Genre wieder populär zu machen. Wir knüpfen also an die Tradition an, doch selbstverständlich versuchen wir auch, sie zu modernisieren, damit die Pantomime aktuell und für die Zuschauer von heute akzeptabel ist. Damit sie die Pantomime verstehen und sie vor allem genießen.

Und welche Rolle spielt die Pantomime in der heutigen Gesellschaft? Kann sie gut auf die aktuelle Lage reagieren?

Schon dadurch, dass ihr wichtigstes Ausdrucksmittel Geste, Bewegung und nonverbales Mittel sind, kann sie das Innenleben eines Individuums in der Gesellschaft erfassen und zum Ausdruck bringen. Sie schafft für den Zuschauer einen Raum oder eine Figur, mit dem oder der er sich selbst identifizieren und seine persönliche Lebensgeschichte auf der Grundlage seiner Erfahrungen interpretieren kann. Die Pantomime ermöglicht es also dem Zuschauer, eine Geschichte aufgrund seiner eigenen Fantasie zu erleben, und ich glaube, das ist notwendig. Im heutigen Konsumsmog ist vorherbestimmt, wie was aussehen soll und was als schön gilt. Die Menschen passen sich dem an und denken nur selten darüber nach, worin eigentlich die originelle, die eigene Schönheit besteht. Und gerade dieser Eingriff ohne Worte ins Denken eines Menschen kann in ihm das Bewusstsein der eigenen Schönheit wecken.

Kann man derzeit in Tschechien Pantomime studieren? Und sind die Studierenden daran interessiert?

Ja, das Studium gibt es an der Musikakademie der musischen Künste in Prag, das ist die Fakultät für Musik und Tanz, wo der Lehrstuhl für nonverbales Theater ein Bachelor-, Master- und sogar Doktorandenstudium ermöglicht. Ich habe dort neun Jahre lang studiert, nun bin ich dorthin zurückgekehrt und unterrichte dort seit Oktober. Jetzt läuft zwar alles online, aber auch so würde ich an die Studierenden gern meine eigenen Erfahrungen weitergeben.

Dann gibt es selbstverständlich verschiedene Festivals oder Föderationen, wo es wichtig ist, die FEM – die Federation of European Mime – zu erwähnen. Sie steht unter der Leitung von Zdeněk Kühn, den ich in Deutschland kennengelernt habe und der gleichzeitig Mitbegründer der Schule Die Etage ist, wo auch Pantomime als Studienfach gelehrt wird. Zdeněk leistet tatsächlich großartige Arbeit, denn er bringt unser Minderheitengenre und damit verbundene Persönlichkeiten im gesamteuropäischen Kontext zusammen und schafft so eine europäische Familie von Mimen, was dabei helfen kann, das Überleben der Pantomime und ihrer Tradition zu sichern.

Wenn Sie Ihre derzeitigen Studierenden sehen, haben Sie den Eindruck, dass sich die Pantomime in die richtige Richtung bewegt? Gibt Ihnen das Hoffnung, dass sich die Tradition erneuert?

Dies ist eine etwas heimtückische Frage, denn ich kann derzeit keinen praktischen Unterricht anbieten und so die derzeitige Situation nicht vollständig reflektieren. Es ist doch ein praktisches Fach, wo man den persönlichen pädagogischen Kontakt braucht. Hoffnung aber gibt es dort, wo Glaube und Liebe sind. Ich glaube, dass ich überall da, wo ich wirke, jemanden finde, der ein wirkliches Interesse an diesem Genre zeigt. Und wenn jemand etwas mit Liebe tut, dann hat er gute Ergebnisse. Für mich ist es also immer am wichtigsten, in den Studierenden die Liebe für dieses Fach zu wecken, und bei wem das funktioniert, dessen nehme ich mich dann an und gebe an ihn meine Erfahrungen, mein Know-how, die Technik und natürlich auch das weiter, was ein richtiger Mime können muss – das Unsichtbare sichtbar machen.

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