Wie leiten zwei Direktoren die berühmte Galerie im Hamburger Bahnhof in Berlin? Mit Liebe.

Ich besuchte den renommierten Berliner Salon Cultural Bridges. Diesmal waren Till Fellrath und Sam Bardaouil zu Gast, die als Kuratorenduo bisher mit großen Kunstinstitutionen von New York bis Sydney zusammengearbeitet haben. Ihr Ansatz hat mich in vielerlei Hinsicht inspiriert.

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Sam ist Libanese und hat einen Doktortitel in Kunstgeschichte, während Till Deutscher ist und an der London School of Economics studiert hat. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, vielleicht ist das der Grund, warum sie einen gemeinsamen Weg einschlagen – seit 2022 sind sie Direktoren der Galerie Hamburger Bahnhof. Sie haben ihre Strategie auf zwei Säulen aufgebaut – ihre Arbeit machen sie verantwortungsvoll und mit Liebe. Beginnen wir mit der Verantwortung. „If you have a public voice, you have a responsibility“, sagte Sam. Wenn man eine öffentliche Stimme hat, hat man auch eine Verantwortung. Das gilt unabhängig davon, ob man Galeriedirektor, Politiker, Herausgeber oder Lehrer ist.

Seine Worte haben mich zum Nachdenken angeregt. Haben wir nicht alle diese Verantwortung? In der heutigen Zeit ist doch fast jeder ein Schöpfer, ein Träger und ein Verbreiter von Ideen in den sozialen Medien. In einer Zeit, in der jeder alles mitbestimmen kann, bekommt „Verantwortung“ eine neue Bedeutung. 

Gedankenlose Vergleiche, Kritik ohne Grundkenntnisse und die Anonymität des Internets sind ein Fluch, der von der grundlegenden Verantwortung eines jeden ablenkt: zu erkennen, dass jeder Mensch ein Vorbild oder Beispiel für andere sein kann – sei es im positiven oder negativen Sinne. Auch wenn es „nur“ im Rahmen der Familie, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis ist.  

Geben wir jenen die Stimme, die in der Lage sind, die gemeinsamen Interessen vor die eigenen zu stellen, die ihr Denken und ihre Wortwahl nicht auf Befehle, Belehrungen, Drohungen und Verbote gegen andere beschränken.

Und nicht nur das. Die Menschen, die nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen entscheiden, verdienen unser Vertrauen. Für die das Wort Liebe mehr bedeutet als nur fünf Buchstaben. Dazu gehören die Fähigkeit zur Empathie und die Wahrnehmung des Fremden, des Zufälligen und des Unvorhergesehenen.

Das ist die zweite Säule von Till und Sams Stra-tegie. Die Liebe. „Wir machen unsere Arbeit mit Liebe zu den Besuchern, die zu uns kommen, mit Liebe zu den Künstlern, die bei uns ausstellen, mit Liebe zu den Menschen, die bei uns arbeiten. Sie würden nicht glauben, wie sehr sich die Mentalität und die Arbeitsatmosphäre in der Galerie verbessert haben“, sagt Sam. „Denn wir sehen das Museum nicht als einen Raum, in dem die Werke an der Wand hängen, sondern als einen offenen Ort, der mit der Öffentlichkeit in Kontakt steht. Die gesamte Herangehensweise an das Galeriemanagement muss sich heutzutage ändern. Vor allem sollten wir mehr Akzeptanz für unterschiedliche Meinungen aufbringen, denn verschiedene Menschen nehmen Kunst sehr unterschiedlich wahr.“

Sei hinzugefügt, dass die Fähigkeit, die menschliche Vielfalt wahrzunehmen, die Chance für eine größere Annäherung bietet. Die sich immer weiter vertiefende soziale und gesellschaftliche Spaltung nützt niemandem, außer denjenigen, die von dieser Spaltung profitieren. Die Herausforderungen für unser gemeinsames Zusammenleben sind heutzutage enorm. Wir befinden uns nicht nur in einer politischen und wirtschaftlichen Krise, sondern vor allem in einer zwischenmenschlichen Krise. Es ist einfacher, jemanden anzurufen, als ihn zu treffen. Es ist einfacher, eine E-Mail zu schreiben, bei der man nicht auf den Tonfall achten muss. Es ist noch einfacher, eine kurze Nachricht zu senden. Am einfachsten ist es, einen Kommentar zu schreiben; je anonymer, desto geschmackloser. Wo ist der Ausweg aus dieser Sackgasse?

Schaffen wir echte Orte der Begegnung, fördern wir ein lebendiges soziales Leben – untereinander und für alle. Ob durch Kunst und Kultur, im politischen Diskurs oder in sozialen Aktivitäten. Lassen Sie uns einander näher kommen. Nicht gesichtslos in den sozialen Medien, sondern in gepflegten realen Begegnungen und Diskussionen. All das fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und der Toleranz. Dazu brauchen wir den Mut, offen miteinander über das Anderssein zu sprechen, die Meinung der anderen zu beachten und bereit zu sein, auch andere Vorschläge  als nur die eigenen zu akzeptieren. Nur dann sind wir nicht eine Masse von toxischen Individuen, sondern eine echte menschliche Gemeinschaft.

Dieser Artikel erschien in der vierten Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag

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