Botschafter Andreas Künne: Ideologischer Skeptizismus gegenüber der EU ist verschwunden

Der deutsche Botschafter in Prag Andreas Künne
Andreas Künne leitet die Prager Botschaft Seit 9 Monaten. In einem exklusiven Interview mit dem Magazin N&N hat er unter Anderem darüber gesprochen, was Russlands Aggression gegen die Ukraine für seine Arbeit bedeutet.

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Herr Botschafter, haben Sie sich im Palais Lobkowicz schon eingewohnt?

Ja, klar. Ich bin zwar noch nicht so lange hier, aber das ist ein so wunderschöner Ort, dass es sehr leicht fällt sich hier einzuwohnen und einzuleben.

Wir haben vor knapp einem drei Viertel Jahr mit ihrem Vorgänger, dem Herrn Dr. Christoph Israng gesprochen. Er sagte, damals noch unter der Regierungsführung von Angela Merkel, die deutsch-tschechischen Verhältnisse sind so gut wie nie zuvor. Jetzt haben Deutschland und auch Tschechien eine neue Regierung. Denken sie, Sie können in einem oder zwei Jahren dieselbe Aussage machen?

Keiner von uns hat eine Kristallkugel, die für zwei Jahre reicht, aber ich kann schon heute sagen, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen so gut sind, wie sie es nie gewesen sind. Das haben auch der deutsche Bundespräsident Steinmeier und viele andere bei ihren Besuchen betont. Natürlich gibt es schwierige Themen, aber eben auch sehr gute Belege dafür, wie weit wir gekommen sind. Zum Beispiel die tschechische Bereitschaft, dass sich auch deutsche Soldaten in Tschechien aufhalten können. Dies ist für mich ein klares Indiz, dass die Beziehungen wirklich in eine Phase von europäischer Normalität und sehr guter Nachbarschaft eingetreten sind.

Welchen Eindruck hat auf Sie persönlich bisher Tschechien und die Gesellschaft gemacht?

Ich bin sehr gerne hier. Leider herrschte in sieben von knapp neun Monaten, die ich hier bisher verbracht habe, die Pandemie. Das heißt, dass ich hier noch nicht wirklich ein normales Leben erlebt habe. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben wir eine ganz außergewöhnliche Situation in Europa bekommen. Tschechien sehe ich als einen sehr engen Nachbarn und Freund. Wie offen und auf allen Ebenen ich hier von den tschechischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern angenommen werde, spricht auch für sich.

Was halten Sie von der tschechischen politischen Kultur, wenn Sie sie mit der deutschen vergleichen können?

Ich denke, traditionell steht es einem Botschafter nicht zu über die Politik seines Gastlandes in der Öffentlichkeit zu sprechen. Eine politische Kultur entsteht normalerweise aus Bedürfnissen der Bevölkerung und auch unter den jeweiligen historischen Bedingungen. Diese waren in der ČSSR anders als in Westdeutschland oder Ostdeutschland. Nach den Friedlichen Revolutionen haben sie sich auch unterschiedlich entwickelt, einfach weil es andere Bezugspunkte gibt. Für uns in Westdeutschland waren von Anfang an die wichtigsten Bezugspunkte die Europäische Union und die NATO. Das hat sich hier natürlich erst viel später entwickelt und daraus sind auch unterschiedliche politische Kulturen entstanden. Gleichzeitig ist aber der Unterschied nicht so groß, weil sich viele der grundsätzlichen Meinungen und der Einstellungen der Gesellschaft zum Umgang mit dem Rest der Welt auch sehr ähneln. Wir sind und wir bleiben gemeinsam in Mitteleuropa.

Bevor sie nach Prag geschickt wurden, waren sie drei Jahre lang Beauftragter für die Vereinten Nationen und Terrorismusbekämpfung im Auswärtigen Amt. In ihrem Profil steht, wo immer sie auch auf verschiedenen Posten waren, Schwerpunkte ihrer Tätigkeit waren Sicherheitspolitik und multilaterale Fragen. Was genau war ihre Aufgabe?

Die letzten Jahre in Berlin waren für mich zuerst davon gekennzeichnet, dass die Bundesrepublik Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war. Zu jedem Thema, das im Sicherheitsrat besprochen wurde, musste ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen die deutsche Position festlegen. Das geht von der Situation in der Zentralafrikanischen Republik bis nach Zentralasien und von Kolumbien bis nach Afghanistan. Dadurch bekam ich einen sehr breiten Blick auf die Welt, weil wir manchmal doch dazu neigen, die Welt sehr auf Europa und Nordamerika zu verengen, dabei ist sie doch sehr viel größer. Ich glaube, dass unsere Zukunft, auch hier in Mitteleuropa, sehr wohl auch von unseren Beziehungen zu China und vielen afrikanischen Staaten abhängt. Das war ein Schwerpunkt meiner Arbeit in Berlin.

Der deutsche Botschafter in Prag Andreas Künne
Foto: (c) Botschaft der BRD in Prag

Ist es Ihnen nach dieser interessanten Erfahrung in der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht langweilig?

Nein (lacht). Hier kann ich sehr viele Sachen lernen. Die bilaterale Arbeit ist natürlich völlig anders als die multilaterale, aber es ist sehr spannend zu versuchen zu verstehen, wie die tschechische Politik und Gesellschaft funktioniert. Sehr spannend ist es natürlich unter diesen erschwerten Bedingungen der Pandemie gewesen. Durch den russischen Angriffskrieg ist eine Dramatik in die Entwicklung in Europa gekommen, die wohl niemand so vorhergesehen hat. Diese Entwicklung sorgt dafür, dass die bilaterale Arbeit noch wichtiger geworden ist, als sie es ohnehin ist. Ein zentraler Punkt dieser bilateralen Beziehungen ist natürlich Europa: je besser die deutsch-tschechischen Beziehungen sind, umso besser für unsere beiden Länder und für das gemeinsame europäische Projekt.

Im Herbst haben sie in einem Gespräch mit dem tschechischen Internetportal Tradenews gesagt, dass Europa unser gemeinsames Schicksal ist und das es keine vernünftige Alternative dazu gibt, als in Europa zusammen als Partner handeln. Vor mehr als fünf Jahren haben aber die Briten für ein EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gestimmt. Dann gibt es hier zum Beispiel Ungarn mit Viktor Orbán, der als engster Partner des russischen Präsidenten Putin unter den EU-Staats- und Regierungschefs gilt. In welcher Lage befindet sich ihrer Meinung nach die EU?

Durch den Umgang mit der Corona-Krise und ich glaube jetzt auch durch den Umgang mit der Situation um die angegriffene Ukraineist sehr vielen Menschen noch klarer geworden, wie wichtig die Europäische Union ist und dass es schwierig sein würde in diesen Situationen als Einzelstaat zu agieren. Schauen sie sich an, wie wir nach kurzen Anlaufschwierigkeiten gemeinsam Impfstoffe beschafft haben und überlegen Sie mal, das hätten die einzelnen 27 Staaten gemacht, jeder für sich. Das wäre nicht gut ausgegangen. Welchen Hebel hätten wir als Deutschland oder Tschechien alleine gegenüber Russland? Ich glaube auch was den wirtschaftlichen Hebel angeht, ist deutlich geworden, dass wir eine gute Arbeitsteilung zwischen der NATO und der EU haben. Das was die EU kann, kann die NATO nicht und umgekehrt. Wenn wir das nicht hätten, wären wir sehr viele mehr oder weniger schwache einzelne Staaten, relativ unabhängig von der Größe, die es überhaupt nicht schaffen würden sich auf der Weltbühne Gehör zu verschaffen.

Tag der offenen Tür: Am 28. Juni organisiert die deutsche Botschaft nach einer Corona-bedingten Pause wieder einen traditionellen Tag der offenen Tür. „Wir freuen uns auf jede Besucherin und jeden Besucher. Dieses Jahr werden wir ein Schwerpunkt auf Schülerinnen und Schüler haben, weil es wichtig ist, bei den Beziehungen an die Zukunft zu denken,“ ergänzt der Botschafter.

Also denken Sie das Thema der EU-Skepsis wird langsam aus der Politik der vielen EU-Staaten verschwinden?

Nein, natürlich nicht. Es ist ja auch nicht so, dass man die Arbeit der EU und unsere Arbeit in der Europäischen Union völlig unkritisch betrachten sollte. Ich bin überzeugt, dass die Skepsis bleibt. Ich glaube aber, dass eine so von Ideologie getriebene Art der Skepsis, wie wir sie bis 2019 erlebt haben, erstmal verschwunden ist und die Zahl der Befürworter eines Austritts aus der Europäischen Union in allen Mitgliedstaaten deutlich niedriger wurde. Das ist aus meiner Sicht eine sehr gute Entwicklung.

Die Aggression Russlands gegen die Ukraine beschäftigt uns alle. Was bedeutet sie für ihre Arbeit als Botschafter?

Es ist eine Divergenz in den allgemeinen Stimmungen zu sehen zwischen der deutschen und tschechischen Öffentlichkeit. Das, wo wir uns ganz klar einig sind, ist die Solidarität und die Hilfsbereitschaft gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen. Es wird auch in Deutschland sehr wohl registriert, welche unglaublichen Anstrengungen Tschechien jetzt 2022 für die Flüchtlinge unternimmt. Diese Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft ist auch in der deutschen Bevölkerung präsent. Wir müssen auch sehen, dass in Deutschland und in Tschechien vor dem russischen Angriffskrieg unterschiedliche Meinungen vorherrschend waren. Ich will jetzt die tschechische und deutsche Politik nicht zu einfach darstellen, aber in Deutschland war die Überraschung über den unvermittelten russischen Angriffskrieg deutlich größer und wir haben länger gebraucht, bis wir die Konsequenzen daraus gezogen haben, natürlich auch aus historischen Gründen. Meine Arbeit hat sich dadurch natürlich insofern verändert, dass ich vor allem mit der Vermittlungs- und Erklärungsleistung beschäftigt bin. Das wird jetzt viel mehr nachgefragt als vorher. Ich bin froh, dass die Corona-Beschränkungen weggefallen sind und der politische Besucherverkehr wieder angefangen hat. Die Besuche zwischen den jeweiligen Ministern sind jetzt wieder viel direkter, was sehr wichtig ist für unsere Beziehungen.

Das ganze Gespräch wird in dem zweisprachigen Heft N&N Czech-German Bookmag erscheinen, das sich mit faszinierenden Persönlichkeiten auseinandersetzt, die die Tschechen mit deren wichtigsten Nachbar Deutschland verbinden. Das N&N Czech-German Bookmag is bei Albatros Media zu bestellen. 

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