🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Třiatřicet výtvarníků reflektuje Franze Kafku
Er steht bewegungslos. Dann ruckt er unerwartet und seine Bewegungen werden immer wilder. Das lebensgroße aus Chrom gefertigte Skelett eines Hirsches wirft den Kopf hin und her und scharrt wütend mit den Hufen. Er gräbt immer deutlichere Spuren in den glänzenden Sockel… Die animatronische Skulptur Insilico von Mat Collishaw, die als Prolog zur Ausstellung solitär installiert ist, hat auf den ersten Blick wenig mit Franz Kafka gemein. Doch genau das war die Absicht der Kuratoren: die Persönlichkeit von Weltruf nicht durch Illustrationen darzustellen, sondern als Reflexion und Inspirationsquelle. Die Kuratoren Michaela Šilpochová, Leoš Válka und Otto M. Urban haben dreiunddreißig heimische und internationale Künstler zu der großzügig konzipierten Schau eingeladen und sie zeitgleich aufgefordert, in den Bildunterschriften ihre persönliche Beziehung zu Kafka und seinem Werk zum Ausdruck zu bringen.
Doch zurück zu dem Roboter-Hirsch. Hinter der neuartigen Idee steckt ein Algorithmus, der aus der Internet-Kommunikation in Echtzeit die Personen heraussucht, über die am meisten getwittert wird. Der Algorithmus überwacht diese Personen, und wenn die Intensität der hasserfüllten Kommentare in einem konkreten Fall zunimmt, setzt sich der Hirsch in Bewegung und führt immer verzweifeltere Kunststücke vor. „Die kafkaeske Ebene liegt in der Manipulation selbst, im Verlust der Persönlichkeit. Sobald Sie Teil der Internetwelt sind, können Sie tun und lassen, was Sie wollen, aber Ihre Geschichte lebt ein völlig kafkaeskes Eigenleben und Sie haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.“, sagt Kurator Otto M. Urban mit der Bemerkung, dass Collishaw auf kafkaeske Themen im Kontext der modernen Technologien reagiert. Nach Ansicht des Künstlers hätte Kafka die heutigen sozialen Netzwerke als ein Labyrinth der menschlichen Entfremdung und Angst gesehen. Wie Urban hinzufügt, dient Collishaws Werk als Metapher, um von Anfang an deutlich zu machen, dass es in der Ausstellung nicht um eine „bloße“ Illustration von Kafka geht, sondern um einen Versuch oder eine Reflexion dessen, wie Kafka in der heutigen Zeit künstlerisch dargestellt werden kann. Außerdem erfrischt das moderne Objekt die gesamte Ausstellung, die neben Videoinstallationen und Tonaufnahmen vor allem aus klassischen Werken wie Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen besteht.

Der dunkle, schmale Korridor, der mit zufälligen Fragmenten aus Kafkas Werken gesäumt ist, endet an einer großformatigen Leinwand mit einer Filmsequenz aus Orson Welles’ Der Prozess. Fast in Reichweite hängt ein umfangreicher Zyklus von Jaroslav Rónas Zeichnungen zu Kafkas Prosa. In einem anderen Teil der Ausstellung präsentiert Róna Leinwände, darunter auch das Werk Kafka in Triest. Lange Zeit glaubte Róna, er habe von diesem Erlebnis im Tagebuch des Schriftstellers gelesen. Später musste er sich jedoch eingestehen, dass er das Ganze wahrscheinlich nur geträumt habe. Kein Wunder, hat er sich doch seit langem mit dem weltberühmten Schriftsteller beschäftigt. Von ihm stammt auch das 2003 geschaffene bronzene „Reiter“-Denkmal, das Franz Kafka gewidmet ist und in der Nähe der Spanischen Synagoge im Prager Stadtviertel Josefov steht. Zudem hat Róna sein Atelier auf dem Friedhof in Olšany (Prag), nur ein paar hundert Meter von Kafkas Grab entfernt. Er lächelt und verrät, dass Kafka von Zeit zu Zeit mit ihm kommuniziert und ihn berät, wenn ihm die Ideen ausgehen.

Die Ausstellung KAFKAesque wird u. a. die Fans des international gefeierten Regisseurs David Lynch überraschen. „Gerade Lynch war der erste Impuls für mich, Kafka erneut zu lesen. Gleichzeitig gab er mir den Anstoß zu dieser Ausstellung, weil er in Bezug auf Kafka immer wieder seine große künstlerische und menschliche Affinität und Inspiration hervorhob“, verrät Kurator Urban. Der ehemalige Kunsthochschulabsolvent, der sein gesamtes kreatives Leben der Grafik, Zeichnung, Fotografie, Objekten und der Malerei gewidmet hat, stellt nun in Prag einen breit gefächerten lithografischen Zyklus aus den Jahren 2007 bis 2014 aus. Und das ist noch nicht alles. Denn DOX hat mit dieser Kunstikone in naher Zukunft noch weitere Pläne…

Ein paar Schritte weiter stoßen wir auf das Werk des jungen, talentierten Matouš Háša, dessen Kunst sich auf die klassische Bildhauerei Michelangelos bezieht, die er mit dem Blick des modernen Menschen des 21. Jahrhunderts ergänzt. Es geht um die Skulptur Spinario, die einen sitzenden, in sich versunkenen Jungen darstellt. Die aus spanischem Alabaster gefertigte Statue mutet sehr zerbrechlich an. Jemand sagte einmal vom zweiunddreißigjährigen Künstler, er sei eine Mischung aus Michelangelo und Banksy.

Bemerkenswerte Künstlerinnen sind die eineiigen Zwillinge Nil und Karin Romano. Die Malerinnen und DJs leben und schaffen im Dialog miteinander in Tel Aviv. Sie verwenden hauptsächlich Acryl- und Ölfarben auf großformatigen Leinwänden. „Da wir von Natur aus introvertiert sind, haben wir in der Kunst einen Weg gefunden, der Welt unsere Botschaft zu vermitteln“, erklären die Schwestern. Ihre Werke erzählen von der komplizierten menschlichen Seele und den Emotionen, die sich in Themen, wie Chaos, Ritual und Nihilismus niederschlagen. Ihre Ideen spiegeln anhaltende Depressionen und soziale Isolation wider. Zentrale Themen sind Glaube und Religion, Beziehungen zwischen Frauen, Magie und die Macht der Gefühle.
Dieser Artikel erschien in der sechsten Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag