🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Žijeme v luxusu?
Die Dienstmädchen der Königin von England waren jeden Morgen gestresst. Sie mussten diskret herausfinden, welche Farbe das Nachthemd hat, das die Königin für ihre Nachtruhe gewählt hatte. Denn in derselben Farbe sollte auch das Service sein, in dem sie der Monarchin den morgendlichen Tee im Bett servieren sollten. Ein tagtägliches Ritual, das es in diversen Variationen auch unter nicht königlichen Sterblichen gibt.
Wenn meine Freundin Milena morgens aufsteht, öffnet sie den Safe und genießt es, oft noch im Nachthemd, ihre Uhrensammlung anzusehen. Sie streichelt ihre Lieblinge, wählt diejenige aus, die sie an diesem Tag tragen möchte und die am besten zu ihrem Outfit passt. Ich habe sie gefragt, ob sie das als Luxus empfindet.
Ist es heutzutage überhaupt noch genehm, sich mit Luxus zu beschäftigen und ihm zu frönen? Das Wort „LUXUS“ ist etwas heikel. Jeder stellt sich darunter etwas anderes vor: Der Kranke möchte gesund werden, der Verliebte möchte mit seiner Liebe zusammen sein, der Sammler vermisst das seltenste Stück seiner Sammlung, der Träumer sehnt sich nach einer Weltreise. In Umfragen zum Thema Luxus, ob in der Tschechischen Republik oder in Deutschland, dominiert der Wunsch nach einer eigenen Wohnung. Im allgemeinen Unterbewusstsein wird Luxus oft mit Materialität, Komfort und Prestige assoziiert. Luxus ist etwas, das wir auf den ersten Blick nicht brauchen und das für viele irrational und unerreichbar ist. Wir können Luxus weder messen, noch wiegen oder genau definieren.
Im vergangenen Sommer sprühten Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ orange Farbe auf die Schaufenster von Luxusmarken wie Rolex, Gucci, Prada, Louis Vuitton und Dolce & Gabbana am Kurfürstendamm in Berlin. Diese für den Klimaschutz kämpfende Anti-Luxus-Bewegung hatte auf ihren Plakaten Slogans wie Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten oder Euer Luxus = unser Klimakollaps. In ihrer Erklärung hieß es später: „Die reichsten Deutschen stoßen tausendmal mehr Treibhausgase als der Durchschnittsbürger aus. Die Folgen davon muss der Normalbürger in Form einer Klimakatastrophe tragen, an deren Entstehen die Reichen einen enorm hohen Anteil haben.“ Hmm …
Eine ähnliche Aktion fand auch in London statt. „Wir wollen Aufmerksamkeit erregen“, sagte Adrian Johnson, ein 56-jähriger Sprayer und ehemaliger Lehrer. Aber warum gerade Rolex? „Wir kämpfen gegen die Elite, die riesige Vermögen für Eitelkeiten ausgeben kann, die dazu führen, dass Menschen überall leiden, hungern und sterben“, so seine Erklärung. Rolex wurde deshalb ausgewählt, weil diese Uhrenmarke für Luxus steht.
„Aber nein, ich habe keine Rolex in meinem Safe. Menschen, die wirklich etwas von Uhren verstehen, kaufen ganz andere Marken“, belehrte mich meine Freundin Milena. „Mein absoluter Luxus ist es, meine Leidenschaft für Uhren ausleben zu können. Als ich aus der ehemaligen Tschechoslowakei in die Schweiz kam, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mir eines Tages einen solch paradiesischen Luxus leisten könnte. Doch mir ist nichts in den Schoß gefallen. Ich habe mein ganzes Leben lang hart gearbeitet. Vom ersten Geld, das ich verdient hatte, kaufte ich mir meine erste Uhr … und diese Leidenschaft hat mich seither nicht mehr losgelassen. Ich habe keine Kinder, meine Kinder sind meine Uhren.“ Warum sind Uhren für sie der Inbegriff von Luxus? „Uhren stehen für das Vergehen der Zeit. Ich schaue mir ihre Uhrwerke an, bewundere die Präzisionstechnik und beobachte auf ihnen den Zeitablauf. Selbst wenn ich sie anhalte, werde ich die Zeit nicht anhalten. Die Zeit vergeht wie im Flug … Wir alle haben einen Luxus gemeinsam: Keiner von uns weiß, wann seine Zeit abläuft.“
Wir haben miteinander telefoniert, als sie in der Reha war. „Weißt du, ich mag hier die Michelin-Küche und den erstklassigen Service. Aber ich bin ein Kind des Sozialismus. Mein Mann und ich genießen diesen Luxus sehr, aber wir sind auch dankbar dafür und demütig. Ich weiß sehr wohl, dass unser Paradies keine Alltagsrealität ist. Ich bin mir zutiefst bewusst, dass wir im Leben Glück hatten.“
Macht uns Luxus glücklicher? Im Moment, in dem wir uns einen Traum oder einen Wunsch erfüllen, sicherlich schon. Aber wenn wir einen fünften Ferrari in der Garage oder eine fünfte Dior-Handtasche im Schrank haben, macht uns das dann fünfmal glücklicher? Stellen Sie sich vor, jeder hätte auf einmal ein Auto mit dem Pferdchen an der Haube oder eine Handtasche mit dem CD-Verschluss … Wäre es dann immer noch Luxus?
Wir alle haben bereits eine Handtasche und ein Auto. Vielleicht ist es an der Zeit, den Luxus in den kleinen Dingen zu suchen: in der Verbindung mit der Natur, mit den Menschen, mit unserer Umgebung und vor allem mit der Zeit. Wir sollten uns bewusst sein, dass Luxus bedeutet, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Aber der größte Luxus besteht darin, nicht allein und dennoch Herr über seine Zeit zu sein.
Dieser Artikel erschien in der fünfte Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag