Tschechische Küche, Quo Vadis?

Nur wenige wissen, dass sich die tschechische Küche durch eine ebenso große Vielfalt wie beispielsweise die französische auszeichnete. Unsere Eltern und Großeltern haben das vergessen, aber die junge Generation beginnt, die Magie von Wild, Fisch oder auch Spargel neu zu entdecken.

Kaninchen auf Sahne Foto: Kateřina Sýsová

Dies ist das gelobte Land, voller Wild und Vögel und mit Milch und Honig im Überfluss.“ Mit diesen Worten brachte der mythische tschechische Urvater Tschech sein Volk in das Land, das er küsste und segnete, und eben nach ihm wurde es „Tschechien“ genannt.

Noch heute, nach fast 1400 Jahren (zumindest nach Hájeks Chronik), geben Feinschmecker und Kenner der Küche diesem Stammvater unserer Nation Recht. Klassischen Touristen bleibt diese Erkenntnis allerdings verschlossen. Tschechien ist nach wie vor ein Land, dessen Name vor allem mit Bier und Knödeln verbunden wird. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ein gut gekühltes Bier und dazu hausgemachte Knödel mit klassischem Lendenbraten bleiben eine Delikatesse, die wohl zu allen Familienfeiern gehört.

Selten jemand weiß jedoch, dass die traditionelle tschechische Küche in ihrem Repertoire eine so große Auswahl an Köstlichkeiten hat, dass sie sich – was die Zahl der jeweiligen Arten anbelangt – ohne Übertrei- bung mit der französischen Küche vergleichen ließe.

Neben Rezepten aus üblichem Fleisch finden wir hier auch Spezialitäten wie Rebhühner, Tauben, Hasen, Ziegenlämmer, Fasan, Wildenten und Gänse, Hirsche und Wildschweine.

Lieben Sie Süßwasserfische? Dann freuen Sie sich auf eine reichhaltige Palette: auf der tschechischen Speisekarte stehen zum Beispiel Zander, Graskarpfen, Hecht, Forelle, Wels oder Aal. Künftig könnte eine weitere kulinarische Köstlichkeit hinzukommen.

Dank der Initiative „Rettet den Lachs“ können wir hoffen, dass auch dieser Fisch eines Tages in unsere Flüsse zurückkehrt. Und keinesfalls darf der Karpfen vergessen werden, der in Tschechien auf keiner traditionellen Weihnachtstafel fehlen darf. Im Dezember werden regelmäßig nahezu 10 000 Tonnen gefangen.

Bei einer Bevölkerung von zehn Millionen ist das wirklich nicht wenig – auf eine Person aller Alterskategorien kommt demnach ein Kilogramm Karpfenfleisch.

Marinierte Würste Foto: Kateřina Sýsová

Schnecken und Trüffel gesetzlich “geschützt”

Wer von uns erinnert sich noch daran, dass Tschechien und Mähren zu den bedeutendsten Spargelproduzenten in Europa, und zwar von höchster Qualität, gehörten? Leider auch nicht die Ältesten von uns, war doch Spargel bei uns auch zu seiner größten Blütezeit nicht allzu bekannt und beliebt. Dabei bewirtschafteten seine Züchter den kaiserlichen Hof in Wien, in Deutschland und in Rom, ja er wurde sogar nach Frankreich ausgeführt! Er war weltweit bekannt,fast wie das Pilsner Bier. Die Zeit des aufkommenden Kommunismus stoppte seinen erfolgreichen Weg durch die Welt – 1955 wurde der letzte Spargel in unserem Land geerntet. Unter dem neuen Regime gehörte er zur gastronomischen Kategorie namens “bourgeoises Überbleibsel” und hatte mit diesem Stempel keine Chance zu überleben.

Leider hat diese bei den deutschen Nachbarn so beliebte luxuriöse Delikatesse ihren Weg bis heute nicht auf die tschechischen Teller gefunden. Bleibt nur zu hoffen, dass Initiativen und Projekte zur Spargelförderung dazu beitragen werden, diese außergewöhnliche und gesunde Köstlichkeit wieder auf den tschechischen Tisch zu bringen, denn Spargel aus unseren Regionen schmeckt wirklich ausgezeichnet. Er braucht ganz spezifische, leichte und sandige Böden. Und genau die gibt es in Südmähren, insbesondere rund um Ivančice.

Ein ähnliches Schicksal wie der Spargel haben leider auch die böhmischen Gartenschnecken. Sie landen auf französischen Tischen – aus Tschechien werden dorthin jedes Jahr mehr als 500 Tonnen Schnecken exportiert; es geht fast ausschließlich um Schnecken, die von Hand in freier Natur gesammelt werden. Dagegen werden in Tschechien jährlich nicht einmal 10 Tonnen verspeist. Vor allem zu Weihnachten.

Erstaunlicherweise wird der Brauch der Ersten Republik, Heiligabend zum Mittagessen in ein Restaurant zu gehen und Schnecken zu essen, von der gesellschaftlichen Oberschicht wiederbelebt. Nun ja, Tschechien, das Kind Böhmens, hatte schon immer ein ambivalentes Verhältnis zu den Eliten. Auch auf dem Teller – der tschechische Plebejer wird kaum jemals eine Schnecke probieren.

Das Fangen ursprünglicher tschechischer Krebse ist verboten und ein ähnliches Schicksal ereilte auch das Sammeln von Trüffeln. Obwohl die Trüffelsorte “Böhmische Trüffel” in der deutschen Gourmetwelt ein Hit ist, darf sie in unserem Land nicht gesammelt werden; außer für wissenschaftliche Zwecke. 

Wie viele Gourmet-Experimente können wir also zu Hause machen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen? Das Sammeln von Steinpilzen ist allerdings erlaubt – leidenschaftlich füllen wir die Körbe mit ihnen und essen sie in vollen Zügen. Im Durchschnitt legt jeder tschechische Haushalt jährlich 8 Kilogramm Steinpilze in die Körbe.

Panta rhei – alles fließt, auch in der tschechischen Küche. Den Kochlöffel schwingt jetzt die junge Generation, die mit langsamen Schritten an den Ruhm der tschechischen Küche anknüpft.

Lendenbraten Foto: Kateřina Sýsová

Ein guter Koch ist ein Künstler – er will die “Geburtsurkunde“ seiner Rohstoffe kennen

Und nun die Frage: Weshalb dominieren trotz all dieser heimischen Köstlichkeiten auf den Speisekarten der heutigen Restaurants internationale Gerichte, die in den unterschiedlichsten Morphologien geschrieben sind? Die Antworten aus Umfragen zu Gourmet-Vorlieben gebeN&Nbsp;- vielleicht eine humorige, gleichzeitig wohl aber wahre – Antwort: “die tschechische Küche ist zu … schwer.” Sie ist gut, um den Hunger zu stillen, also ist sie ungesund, außerdem ist ihre Zubereitung sehr zeitaufwendig. Und sie verwendet auch nicht allzu viele Gewürze. “Ich möchte etwas Neues probieren”, antworten tschechische Befragte in diversen astronomischen Umfragen. Dazu kommt noch der wichtigste Aspekt – die tschechische Küche wurde in unserem Land nahezu 40 Jahre lang unverändert konsumiert.

Generationen vor uns mussten entweder das essen, was sie zu Hause selbst angebaut haben oder was sie in der Zeit, als alle Geschäfte das gleiche Sortiment anboten, zu kaufen bekamen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Senioren von heute Kaninchen kaum noch sehen können. Ist es doch viel verlockender, ein italienisches, griechisches, mexikanisches, chinesisches oder indisches Gericht zu essen. Der Name ist zwar oft unaussprechlich, von der Existenz der Hälfte der verwendeten Gewürze haben die meisten nie gehört und die Seeungeheuer auf dem Teller bieten ein surreales Aussehen, aber all das lockt! Endlich einmal etwas Neues ausprobieren.

Panta rhei – alles fließt, auch in der tschechischen Küche. Den Kochlöffel schwingt jetzt die junge Generation, die mit langsamen Schritten an den Ruhm der tschechischen Küche anknüpft. Und das nicht nur wegen der Michelin-Sterne. Wir leben in einer pulsierenden Welt voller Überfluss und gleichzeitig der Angst, sie verlieren zu können. Ganz bewusst suchen wir Entschleunigung. Gärtnern, auf einem Bauernmarkt voller Düfte und Farben einkaufen, gemeinsam kochen, mit Freunden beisammen sein… das sind die Momente, die wir immer wieder erleben wollen, weil sie unsere oftmals leeren Batterien auf angenehme und fröhliche Weise wieder aufladen.

Daher ist der Anbau von eigenem Obst und Gemüse ein Beitrag zur Reduzierung des globalen Problems – der Verschwendung von Lebensmitteln. Wer zum Beispiel Rote Beete aus selbst gepflanzten Samen anbaut, isst sie ganz auch mit den grünen Blättern.

Und wenn trotzdem etwas übrig bleibt, landet es auf dem Kompost. Beim Eigenanbau wird nichts ohne nachzudenken in die Tonne geworfen. Denn wenn wir wissen, wie viel Arbeit, Sorgfalt und Liebe mit alledem verbunden ist, haben wir ein ganz anderes Verhältnis zum Endprodukt, als wenn wir es für ein paar Kronen im Supermarkt kaufen.

Die “Geburtsurkunde” des bei der Arbeit verwendeten Produkts will heute auch jeder gute Koch kennen. Künstler kommt vom Wort “können” – es handelt sich um einen Menschen, der durch das, was er tut, eine persönliche Haltung ausdrücken kann.

Auch Spitzenköche sind Künstler, wenn auch nicht ganz gewöhnliche. Sie wollen den Bauernhof kennen, von dem sie Obst, Gemüse oder Fleisch beziehen. Den Besitzer treffen, seine Umgebung kennen, sehen, wie das Produkt, das sie in der Küche verwenden, wächst.

Und sie werden Ihnen bestätigen, dass sie alles, was sie kaufen, bis zum letzten Blatt oder Knochenmark verarbeiten. Vielleicht ist gerade das Fehlen dieser qualitativ hochwertigsten Produkte, ggf. unsichere Lieferungen, der Grund dafür, dass wir gegenwärtig nur zwei Michelin-Sterne-Restaurants in der Tschechischen Republik haben. Es ist eigentlich ganz selbstverständlich, dass sie sich gerade auf die tschechische Spitzenküche spezialisieren. 

Außergewöhnlich zu sein bedeutet, authentisch zu sein. Dazu muss ich die Erde riechen, die meine Quelle und mein Lieferant ist. Das Gesicht des gelobten Landes berühren.

Sandkuchen Foto: Kateřina Sýsová

Bio Bauern sind in unserem Land nicht auf Rosen gebettet

Welche Orte in Europa gehören zu denen mit der höchsten Dichte erstklassiger Restaurants? Orte, wo den Chefköchen alles, wie man so schön sagt, vor den Augen wächst – d.h., ein frisches Produkt rasch und aus nächster Nähe in die Küche gelangt, und zwar in höchster Qualität. San Sebastian im Baskenland kennt der Durchschnittstourist nicht. Doch das Herz eines jeden Feinschmeckers fängt laut zu pochen an, wenn er nur den Namen hört. Denn San Sebastian hat in der Umgebung von 25 Kilometern Restaurants mit insgesamt 16 Michelin -Sternen!

Fleisch aus der Freilandhaltung, lokal, saisonal und biologisch angebautes Obst und Gemüse und noch dazu günstig auf den Tisch zu bekommen, ist der Traum eines jeden, der nicht nur an seine Gesundheit und den Geschmack seiner Gäste, sondern auch an die Umwelt denkt. Gerade hier haben wir noch große Reserven. Ausgedörrte Felder und verbrannte HoffnungeN&Nbsp;- leider nur allzu oft im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Bio-Bauer ist in unserem Land nicht auf Rosen gebettet.

Einer der ersten Pioniere des ökologischen Landbaus in Tschechien ist der Hersteller von Bio-Tees und Bio- Gewürzen Sonnentor. Das Unternehmen wurde 1992 von Johannes Gutmann aus Österreich und Tomáš Mitáček aus Südmähren gegründet. „Bei all unseren Aktivitäten richten wir uns nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung. Das ist für uns jeden Tag eine Selbstverständlichkeit“, bemerkt einer der Firmengründer. „Wir tragen Verantwortung für die Umwelt, in der wir leben, und wollen sie für unsere Kinder und die künftigen Generationen bewahren“, setzt Josef Dvořáček hinzu, der an die Arbeit der Gründer seit 2009 anknüpft. Und das mit Erfolg. Die Firma Sonnentor gehört heute in Europa zu den renommierten Herstellern von Kräutertees und Gewürzen erster Klasse.

Würstchen im Brötchen oder tschechischer Hot dog Foto: Kateřina Sýsová

Prag ist eine vegane Grossmacht!

Kam vor zehn Jahren ein Vegetarier oder Veganer nach Prag, war die Antwort auf die Frage, wo man ein passendes Restaurant findet, oft nur eine fragend gehobene Augenbraue. Kaum jemand hätte damals geglaubt, dass Prag gerade in diesem Segment der Gastronomie weltweit führend werden würde. Und doch ist es geschehen.

Mit nur eineinviertel Millionen Einwohnern steht Prag an der Spitze der fünf Städte mit den meistenveganen Restaurants auf einen Einwohner. Ursprünglicher Promoter war die Restaurantkette Loving Hut, die 2007 ihre erste Filiale in Prag eröffnete. 13 Jahre später hatte Prag bereits 50 vegane (also rein pflanzliche) Restaurants. Der bekannteste vegane Reiseführer der Welt Happy Cow hat für 2020 die Liste der „Top Ten vegan cities in the world“ erstellt. Die ersten Plätze belegen London, New York und Berlin. Prag belegte den zehnten Platz!

Und nicht nur das. Auch was die Zahl der vegetarischen Restaurants anbelangt, ist Prag auf einem der führenden Plätze. Laut Happy Cow hatte Prag 2018 mit 205 Restaurants mehr als beispielsweise Frankfurt und Dresden zusammen.

Tschechische Küche, wohin gehst du? Wir denken, in den Magen derjenigen, denen das Essen nicht gleichgültig ist. Nicht nur derjenigen, die es konsumieren, sondern auch derjenigen, die dafür die Gesetze erlassen. Die es produzieren, die mit ihm handeln, die es zubereiten und servieren. Nur mit Liebe und Sorgfalt zubereitete Gerichte sind Heilmittel und Lebenselixier. Wir leben in einem Zeitalter von beispiellosem Luxus, in dem wir bewusst entscheiden können, welche Nahrung wir zu uns nehmen und welche nicht.

Und das Leben ist zu kurz, um schlecht – massenweise und ohne jegliches Interesse zubereitete Gerichte zu essen.

Kateřina Sýsová ist eine tschechisch-deutsche Publizistin, Fotografin und Kuratorin. Sie studierte Journalismus an der Karls–Universität, Fotografie an der FSV UK und Kunsttheorie und Geschichte an der UMPRUM. Ihr Hauptfach ist inszenierte Fotografie. Sie arbeitet zielgerichtet mit fotografischem Witz und Kitsch. In der Vergangenheit hat sie an den Büchern Aby po nás něco zůstalo: příběhy novodobých zámeckých pánů und Rozhovory na hraně zítřka mitgewirkt. Sie hat den Gedichtband Zastavení mit Fotografien illustriert. Sie wurde von der Asociace profesionálních fotografů (Verband der Berufsfotografen) in der Kategorie „Persönlichkeit der jungen tschechischen Fotografie unter 30 Jahren“ für das Jahr 2020 ausgezeichnet. Ihre Arbeiten sind auf Instagram unter dem Profil @kejtsy zu finden.

Dieser Artikel erschien in dem zweisprachigen Heft N&N Czech-German Bookmag, das sich mit faszinierenden Persönlichkeiten auseinandersetzt, die die Tschechen mit deren wichtigsten Nachbar Deutschland verbinden. Das N&N Czech-German Bookmag kann man bei Albatros Media bestellen.

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