Deutsch – meine Liebe

Die Germanistin und Kulturredakteurin Lucie Pantazopoulou Drahoňovská spricht darüber, was geschieht, wenn ein „Husák-Kind“ die Liebe zu Goethes Sprache findet.

🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Němčina – moje láska

Ich schreibe schon seit vielen Jahren über deutschsprachige Institutionen in Tschechien, aber ich selbst habe mich erst langsam an die deutsche Sprache herangetastet. Doch das war es wert. 

Ich bin als sog. Husák-Kind aufgewachsen, und dieser umgangssprachliche Begriff wird dem deutschen Leser erklärt werden müssen – so nennt man in Tschechien die demografisch starken Jahrgänge von Menschen, die in den 1970er Jahren, d.h. dem ersten Jahrzehnt, in dem Gustav Husák an der Spitze der kommunistischen Regierung stand, auf die Welt kamen. In der damaligen Zeit war Deutsch für uns hauptsächlich mit der ehemaligen DDR verbunden, und so waren die meisten Kinder – mich eingeschlossen – in der Schule nicht sonderlich begeistert vom der-die-das-Büffeln. Die Argumente meiner Eltern, ich könnte dann auf Rügen selbst ein Eis verlangen, winkte ich nur mit der Hand ab. Bei den Abiturprüfungen erhielt ich in Deutsch eine Zwei, aber fließend konnte ich nicht sprechen. Alles änderte dann München Anfang der 1990er Jahre, wohin ich als Au-pair-Mädchen ging. 

Dank der deutschen Sprache lernte ich meinen Mann kennen. Thanos ist Grieche, stammt aus Athen und hat in München in Rechtswissenschaften promoviert. Beim gemeinsamen  Kochen haben wir deutsch gesprochen und uns gegenseitig unsere Liebe gestanden. Wenig später begann auch ich in München zu studieren. Und als ich für meine Magisterarbeit deutsche Übersetzungen tschechischer Literatur wählte, war das kein Zufall mehr. In die grüne Stadt an der Isar habe ich mich so sehr verliebt, dass ich dort für immer bleiben wollte. 

Prager Zeitung

Doch dann fand ich mich in Prag wieder, das für mich, aus einer kleinen ostböhmischen Stadt stammend, jahrelang „nur“ ein verlockendes Touristenziel und eine Umsteigestation zwischen Inland und Ausland war. Das änderte sich bald. Ich konnte mir kaum vorstellen, nicht täglich die deutsche Sprache zu hören, und so suchte ich einen mit ihr verbundenen Job. Ich hatte Glück. Meine erste Anstellung war bei der Prager Zeitung. 

Der Druck der Prager Zeitung wurde leider im Dezember 2016 wegen fehlender Finanzmittel eingestellt.

Sie wurde Ende 1991 von Uwe Müller, einem Bohemisten und gebürtigen Zwickauer, nach dem Vorbild der renommierten Prager Tageszeitung gegründet, die von 1877 bis 1939 erschien. In seinem Redaktionsbüro an der Grenze der Prager Stadtteile Vinohrady und Žižkov, unter der einem Zungenbrecher gleichkommenden Adresse „Třebízského 7“, herrschte unter einer Handvoll Tschechen und Deutschen eine lebhafte Atmosphäre. Ich wurde mit einer mehrseitigen Kulturbeilage betraut, was für mich eine riesige Herausforderung war. Und so begann ich, die für mich bis dahin unbekannte Prager und umliegende (Kultur-)Welt zu erkunden und mich darin zurechtzufinden, insbesondere in den Institutionen, die sich an deutschsprachiges, bzw. ausländisches Publikum richteten. Der Druck der Prager Zeitung wurde leider im Dezember 2016 wegen fehlender Finanzmittel eingestellt. Es folgte ihre Online-Ausgabe, aber auch ihre Zukunft steht wohl in den Sternen. Der bisher letzte Beitrag auf ihren Seiten erschien im Mai dieses Jahres.

LandesZeitung

Teil der Prager Zeitung war der Landes-Anzeiger, eine Beilage, die der deutschen Minderheit in der Tschechien gewidmet war. Nach dem Erlangen ihrer Unabhängigkeit begann die Versammlung der Deutschen in der Tschechischen Republik mit der Herausgabe einer gedruckten Zeitung, der LandesZeitung (Zemské noviny). Daraus entstand im Herbst 2014 die Monatszeitschrift für den deutsch-tschechischen Dialog, das LandesEcho, das lange Zeit die einzige deutschsprachige Zeitschrift im Lande war. Der einzige zweisprachige Titel, der in beiden Ländern distribuiert wird, ist dann das N&N Czech German Bookmag.

Radio Prag International

Neben den oben genannten deutschsprachigen Zeitschriften informiert auch Radio Prag International, früher bekannt als Tschechischer Rundfunk 7 (Český rozhlas 7), seit Jahren über das aktuelle Geschehen in der Tschechischen Republik. Die kleine deutschsprachige Redaktion, die mit Muttersprachlern und Tschechen besetzt ist, sendet täglich eine halbstündige Nachrichtensendung für ausländische Hörer, sowohl für Landsleute als auch für Ausländer in der Tschechischen Republik. Für mich  als freier Mitarbeiter, der ab und zu hinter dem Mikrofon des Radiostudios saß, war es immer ein Erlebnis, auf Deutsch zu senden, auch wenn mir oft die Knie vor Nervosität schlotterten. Der Start ausländischer Sendungen war 1936, und seither sind neben Deutsch auch Englisch, Russisch, Französisch und Spanisch über den Äther zu hören. 

Buch und Filmfest

Ein unentbehrlicher Verbündeter für Germanophile, die Autorin dieses Beitrags eingeschlossen, ist seit über dreißig Jahren das Goethe-Institut in Prag, das in einem majestätischen Gebäude am Masaryk-Ufer untergebracht ist. Neben Deutschkursen werden auch literarische Lesungen, Vorträge, Workshops, Filmvorführungen und Ausstellungen angeboten. Beliebt sind Begegnungen mit deutschsprachigen Autorinnen und Autoren im Rahmen des Programms „Das Buch“ auf dem internationalen Festival „Svět knihy“. 

Gleiches gilt für das Filmfest in Prag und Brno sowie das traditionelle Sommerkino in Prag, Hradec Králové, Ostrava und Brno, dank derer die Fans deutschsprachiger Filme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Filmvorführungen in Kinosälen oder im Sommer unter freiem Himmel auf ihre Kosten kommen. 

Dem Goethe-Institut verdanke ich viele unvergessliche Begegnungen mit Persönlichkeiten von Weltruf, allen voran dem Schriftsteller Martin Walser und den Schauspielstars Bruno Ganz und Maximilian Schell. Ich habe diese Begegnungen mit den Lesern unserer und fremdsprachiger Zeitungen geteilt und muss zugeben, dass ich zu Beginn einer neuen Saison immer gespannt bin, wen das Goethe-Institut wohl als nächsten in unsere Hauptstadt einlädt.

Das Vermächtnis von Lenka Reinerová

Im Kontext mit der deutschsprachigen Literatur ist auch das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren zu nennen. Mitinitiiert wurde es 2004 von der letzten Vertreterin der Prager deutsch geschriebenen Literatur, der Schriftstellerin Lenka Reinerová, die ich mehrmals persönlich treffen durfte. Das Literaturhaus ist ein wichtiger Anlaufpunkt für Literaturliebhaber und unterstützt den grenzüberschreitenden Austausch von Schriftstellern. Es beherbergt eine einzigartige Sammlung Prager deutscher Literatur, das sogenannte Kabinett. Das Ambiente ähnelt einem Café und ist umgeben von einer Bibliothek, einem Arbeitszimmer und einem Raum für Nachforschungen. Ich gehe gerne dorthin, wenn ich Informationen über die Persönlichkeiten der Prager deutschsprachigen Literaturszene suche.

Der Schriftstellerin Lenka Reinerová. Foto: Miro Švolík

Collegium Bohemicum

Prag ist nicht die einzige Stadt mit einem deutschsprachigen Umfeld. Kaum anderthalb Stunden Zugfahrt von Prag entfernt habe ich im Herbst 2021 die neue Ausstellung Unsere Deutschen im Museum in Ústí nad Labem besucht. Vorbereitet wurde sie vom Collegium Bohemicum, einer wissenschaftlichen, pädagogischen und kulturellen Einrichtung, die sich mit der Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern, der Geschichte der tschechisch-deutschen und tschechisch-österreichischen Beziehungen sowie der Kultur der deutschsprachigen Länder beschäftigt. Die Dauerausstellung wurde von einem Team unter der Leitung des Direktors des Collegium Bohemicum, des Historikers Petr Koura, zusammengestellt. Beim Gang durch die weitläufigen Ausstellungsräume taucht der Besucher in die Geschichte des tschechisch-deutschen Zusammenlebens auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert ein. 

Neben der Politik befasst sich die Ausstellung mit der Kultur, den Bräuchen, den sozialen Aktivitäten und dem Sport der deutschsprachigen Bevölkerung in Böhmen. Sie enthüllt weniger bekannte Geschichte und widmet sich dem Nationalsozialismus und der Vertreibung. Sie will sowohl Tschechen als auch Deutsche, vor allem aber junge Menschen ansprechen. Das war auch der Grund dafür, weshalb sich die Organisatoren der Ausstellung an den Comic-Autor, der unter dem Pseudonym Jaz arbeitet, gewandt haben.

Meeting Brno

Das Festival Meeting Brno ist der gemeinsamen Geschichte der Tschechen und der deutschsprachigen Bewohner der Region Brno gewidmet. Das diesjährige Thema lautete „Kreuzungspunkte“ mit Bezug auf Gregor Mendel, die Familie Löw-Beer, Oskar Schindler und Arnost Lustig. Im Rahmen des Festivals fand schon zum siebzehnten Mal die Wallfahrt der Versöhnung statt, die von Pohořelice nach Brno führt. Bei diesem symbolischen Marsch ehren die Teilnehmer die 20.000 deutschsprachigen Bewohner von Brno, die im Mai 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Bei der erzwungenen Aussiedelung und den anschließenden Strapazen verloren 1 700 Frauen, Kinder und ältere Menschen ihr Leben. An der jährlichen Wallfahrt nehmen Zeitzeugen und prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus der Tschechischen Republik, Deutschland und Österreich teil. 

Kohout und Fajt

Der Herbst steht im Zeichen mehrerer kultureller Veranstaltungen mit deutschsprachiger Überschneidung. Auf die Theaterliebhaber wartet das jährlich stattfindende Prager Theaterfestival der deutschen Sprache. Es wurde im Jahr 1996 von dem Dramatiker und Schriftsteller Pavel Kohout gegründet und war damals noch als Deutsches Theater bekannt. In den fünfundzwanzig Jahren seines Bestehens hat sich das Prager Theaterfestival zu einer wichtigen internationalen Plattform entwickelt, die die besten Schauspielprojekte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein nach Prag bringt. 

Prager Theaterfestival der deutschen Sprache.

Unter der Leitung namhafter Regisseure sind Produktionen renommierter Theaterhäuser zu sehen, darunter das Deutsche Theater Berlin, die Schaubühne Berlin, das Berliner Ensemble, das Thalia Theater Hamburg, das Burgtheater Wien, das Schauspielhaus Zürich oder die Münchner Kammerspiele. Zu den hier bereits aufgetretenen Stars gehören Klaus Maria Brandauer, Bruno Ganz, Sophie Rois und beim letzten Jahrgang die herausragende Corinne Harfouch. Darüber hinaus spiegelt sich sein Einfluss auch in den tschechischen Theaterszenen wider, die zunehmend deutsche Dramen in ihr Repertoire aufnehmen. Ihm kommt somit die Rolle eines Vermittlers zwischen dem tschechischen und dem deutschen Kulturkreis zu.

Gleiches tun auch einige tschechische Museen und Galerien, namentlich die Regionalgalerie in Liberec oder die Nationalgalerie in Prag, die sich unter der Leitung ihres früheren Direktors Jiří Fajt zunehmend dem deutschsprachigen Raum geöffnet hat, beispielsweise in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die jetzt von Jiří Fajt geleitet wird. Dank seiner Persönlichkeit erlebte ich vor einigen Jahren eine unvergessliche Führung, bei der Gerhard Richter, Schöpfer abstrakter und hyperrealistischer Bilder, uns Journalisten persönlich durch seine eigene Ausstellung im Kinsky-Palast geführt hat. 

Zu den tschechisch-deutschen Begegnungen zählen auch die Tage der tschechischen und deutschen Kultur 2022, die in diesem Jahr vom 29. September bis zum 16. Oktober stattfinden werden. Die Euroregion Elbe/Labe, das Collegium Bohemicum, die Landeshauptstadt Dresden, das Generalkonsulat der Tschechischen Republik in Dresden und die Stiftung Brücke/Most haben rund achtzig Veranstaltungen für Interessierte auf tschechischer und deutscher Seite vorbereitet. Das diesjährige grenzüberschreitende Festival steht unter dem Motto „Spuren“ und schließt an die beiden vorangegangenen Festival-Themen „Unsere Nachbarn unter uns“ und „Heimat“ an. Das Festival fokussiert sich insbesondere auf die Spuren, die die Kultur des jeweiligen Nachbarlandes hinterlassen hat.  Die Besucher des Festivals sollen das „Unsichtbare“ unter uns wahrnehmen. 

Wenn ich auf ein Vierteljahrhundert Leben mit der deutschen Sprache zurückblicke und dabei die Stationen meines bisherigen „deutschsprachigen Beadekers“ durchgehe, korrigiere ich gern meine frühere Behauptung: Deutsch ist nicht im Geringsten langweilig. Es ist nicht nur unerwartet zu meinem Beruf geworden, sondern auch zu einem lebenslangen Hobby. Und deshalb hämmere ich es heute meinen (tschechisch-griechischen) Kindern ein, so wie es einst meine Eltern mit mir taten.

Dieser Artikel erschien im Printmagazin N&N Czech-German Bookmag

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