Josef Mašín über sein deutsches Abenteuer

Er ist das letzte noch lebende Mitglied der antikommunistischen Widerstandsgruppe der Brüder Mašín, denen 1953 zusammen mit zwei Freunden die Flucht in die freie Welt gelang. Trotz seines hohen Alters ist Josef Mašín (geboren 1932) außergewöhnlich agil. Von seiner Vergangenheit erzählt er ungehemmt und mitreißend. Eine der größten Geschichten des Kalten Krieges ist aus Büchern und Interviews allgemein bekannt und kommt demnächst auch als Film in die tschechischen Kinos. Das N&N Buchmagazin konzentrierte sich im Interview vor allem auf die deutschen Aspekte von Mašíns Leben.

🇨🇿 Tento článek si můžete přečíst i v češtině: Josef Mašín o svém německém dobrodružství

Wie haben Sie nach dem Krieg die Tatsache verkraftet, dass die deutschen Nazis Ihren Vater, einen herausragenden Widerstandskämpfer, Generalmajor Josef Mašín, umgebracht haben? 

Die Deutschen waren für uns nach dem Krieg inakzeptabel. Deshalb waren wir bei unserer Reise durch die DDR im Jahr 1953 angenehm überrascht. Uns wurde während der Reise öfter geholfen, als dass man uns verraten hätte. Als ich 1956 mit der U.S. Army nach Westdeutschland kam, war die junge Generation der Deutschen, die ich damals kennenlernte, nicht schuld an ihrer Vergangenheit. Ich habe kein Problem mit Deutschland. Ich hatte und habe dort bis heute viele Freunde.

Während Ihrer Reise nach West-Berlin mussten Sie in einer schwierigen Situation im ostdeutschen Waldow eine Geisel nehmen, einen kleinen Jungen namens Björn Grunert, dessen Familie Ihnen schließlich sehr geholfen hat. Sie besuchen sie noch heute und hatten Sie auch bei sich in Kalifornien zu Besuch. Wie kam es zu dieser Beziehung?

Nach dem Ende des Kalten Krieges fuhr ich nach Ostdeutschland, um sie zu suchen. Das erste Mal war das vor der Wiedervereinigung im Jahr 1990, als dort noch russische Truppen stationiert waren. Aber ich konnte sie nicht finden. Im Jahr 2001 drehte die ARD einen Dokumentarfilm über unsere Gruppe mit dem Titel „Der Luckauer Krieg“. Die Produzenten verbrachten in Brandenburg einen ganzen Monat damit, herauszufinden, ob noch jemand etwas über den Fall wusste. Sie haben die Familie Grunert zwar ausfindig gemacht, aber niemand wollte mit ihnen sprechen, weil sie 11 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch Angst hatten, zuzugeben, dass sie uns damals geholfen hatten. Ich habe sie schließlich angerufen und sprach mit Björns Mutter, die völlig überrascht war. Björn und ich sind bis heute befreundet, wir rufen uns fast jede Woche an und besuchen uns gegenseitig. Wenn ich zu ihm nach Waldow fahre, schlafe ich in dem Schlafzimmer, in dem 1953 unser Versteck war.

“Ich habe immer noch viele Freunde in Deutschland”, erzählt Josef Mašín in seinem Haus in Kalifornien. Foto: Veronika Karasová

Hat man damals herausgefunden, dass Ihnen die Flucht nach West-Berlin gelungen war?

Sie wussten es, denn wenn wir erwischt worden wären, hätte man es öffentlich gemacht. Wir hatten auch einen vereinbarten Slogan, den Free Europe und Freies Berlin ausstrahlten.

Ihre Großmutter Emma war zur Hälfte deutscher Abstammung, sie hat Euch drei sogar vor der deutschen Umerziehung bewahrt, als Euer Vater im Gefängnis saß und Eure Mutter verhaftet wurde. Als Sie 1953 über die DDR flohen, konnten Sie jedoch nicht gut deutsch sprechen. Wann haben Sie Deutsch gelernt? 

Meine Großmutter stammte aus einer tschechisch-deutschen Familie und sprach bis zu ihrem 21. Lebensjahr kein Tschechisch. Ihr Vater war Beamter, also musste man zu Hause Deutsch sprechen. Ich konnte Deutsch, aber mit einem sehr starken Akzent. Während des Krieges war Deutsch Pflichtfach in der Schule. Wir sprachen also alle Deutsch, der beste von uns war jedoch Václav Švéda. Ihn mussten wir allerdings nach der Schießerei in Uckro zurücklassen. Mit der Familie Grunert haben wir uns aber problemlos verstanden.

Bedauern oder bedauerten Sie die Verfolgungen, denen Ihre Familie durch die Ausreise von Ihnen und Ihrem Bruder ausgesetzt war?

Ich bedaure nichts. Meine Mutter, mein Onkel und weitere Leute haben alles in voller Kenntnis des Risikos getan und uns unterstützt.

Sie sind seit fast 70 Jahren nicht mehr in der Tschechischen Republik gewesen. Letztes Jahr sind Sie nicht einmal zur Einweihung der Gedenkstätte der drei Widerstände auf dem Mašín-Anwesen in Lošany gekommen. Senator Hilšer hat Sie zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe der Brüder Mašín auch in diesem Jahr für die staatliche Auszeichnung nominiert. Wenn Präsident Pavel Ihnen die Auszeichnung verleihen würde, würden Sie dann in die Tschechische Republik reisen, um sie entgegenzunehmen?

Das ist eine sehr hypothetische Frage, zu der ich mich nie äußere! Wenn ich sage, dass ich sie annehmen würde, wird jeder denken, dass Mašín die Auszeichnung haben will. Ich will keine Auszeichnung. Wenn ich sage, dass ich sie nicht will, werden sie behaupten, ich sei beleidigt, weil ich sie nicht bekomme. Übrigens hat der Präsident bereits geäußert, dass er sie uns nicht verleihen wird. Gut ist, dass unsere Schwester Zdena, die vor Gericht lange um das Anwesen gekämpft hat, einen Teil des Gebäudes für die Gedenkstätte zur Verfügung gestellt hat. Nicht in Ordnung ist, dass sie den größten Teil davon selbst finanziert hat. Das ist, als würde man sich selbst ein Denkmal bauen. Es ist eine Schande, dass unsere Familie es bauen muss. In dieser Form ist die Gedenkstätte zwar gut gemacht, aber wenn die Generation der Menschen, die sich dafür interessieren, ausstirbt, wird sie langsam verblassen. Früher ging Milan noch zu Vorträgen in die Schulen, aber heute gibt es ganz andere Informationsquellen. Es ist die Aufgabe des Staates, über den Widerstand zu informieren, nicht die unserer Familie. Zdena hat diesbezüglich eine andere Meinung, aber sie hat 40 Jahre im Kommunismus gelebt. Ich habe in einem anderen Umfeld gelebt und mein Bruder Radek und ich waren darin immer einer Meinung.  

Glauben Sie, dass Deutschland seine Nazi–Vergangenheit ausreichend aufgearbeitet hat?

Auf jeden Fall hat es dank der Wiedervereinigung seine kommunistische Vergangenheit besser bewältigt als die Tschechische Republik. In der Armee mussten zum Beispiel alle Ostdeutschen mit einem höheren Rang als Major gehen.

Über Sie oder Ihre Gruppe sind mehrere Bücher geschrieben worden. Welches schätzen Sie am meisten? 

Das genaueste ist das englische Buch „Gauntlet“, geschrieben von meiner Tochter Barbara. Die tschechische Übersetzung „Odkaz“ (das Vermächtnis) ist nicht mehr so treffend. Milan, Ctirad und ich haben unsere Erlebnisse gleich nach unserer Ankunft in Amerika aufgeschrieben. Aber es gab viele Dinge, die wir nicht wussten und nicht einmal wissen wollten, für den Fall, dass wir gefasst und verhört würden. Wir haben sogar absichtlich andere Namen der Dörfer, in denen wir uns versteckt hielten, in unsere Memoiren geschrieben. Aus Angst, dass jemand bei den Ermittlungen erwischt werden könnte. Erst als die ARD im Jahr 2001 die Akten der STASI und der Volkspolizei erhielt, erfuhren wir selbst nähere Details unserer Reise.

Denken Sie darüber nach, Ihr eigenes Buch mit Memoiren zu schreiben? 

Nein, das tue ich nicht. Es ist eine ganz andere Zeit. Die Geschichte, die sich  wiederholt, sollten die Menschen aber kennen. Leider ist der Marxismus die Wurzel allen Übels. Jetzt ist es nicht mehr der Kommunismus, sondern der Wokismus mit marxistischen Elementen. 

Verfolgen Sie die deutsche Politik?

Das tue ich, und mir fließen die Tränen. Kürzlich traf ich bei einer Zwischenlandung auf einem Flughafen in Deutschland amerikanische Soldaten in Zivilkleidung. Ich fragte sie nach dem Grund und erfuhr, dass sie mit ihren Uniformen nicht provozieren dürfen! In Deutschland, das Amerika seine Demokratie zu verdanken hat. Ich war hier von 1956 bis 1959 bei der Armee. Dann kam ich zurück und lebte 18 Jahre lang hier. Deutschland war unter Adenauer, Erhard und anderen am besten, weil es anders war als heute. 

Die Dreharbeiten zum Film Die Brüder, verliefen im Herbst dieses Jahres, also 70 Jahre, nachdem Sie ins Ausland gegangen sind. Ich weiß, dass Sie das Drehbuch vorab gesehen haben und die Autoren Ihnen die endgültige Fassung zeigen werden. Was ist Ihre Meinung dazu?  

Wenn man eine so genannte öffentliche Person ist, kann man nichts dagegen tun. Ich wollte, dass die Filmemacher unsere Geschichte so erzählen, dass die Menschen verstehen, aus welchem Grund wir gegangen sind. Bei der ersten Auswanderungswelle 1948 und der zweiten 1968 haben 95 Prozent der Menschen das Land aus ganz anderen Beweggründen verlassen. Wir wollten nie in den USA bleiben, aber es ist passiert. Wir sind nicht ausgewandert, um Geld zu verdienen, wir wollten zurückkommen und gegen die Kommunisten kämpfen. Als wir uns in Erlangen zum Debrie-fing bei den Amerikanern wiederfanden, wurden wir mehrmals einem Lügendetektortest unterzogen, so dass klar war, dass wir nicht lügen und zurück in die Tschechoslowakei gehen wollen. Sie wollten uns zurückschicken, weil wir auch Kontakte zum Widerstand in der Armee hatten. Wir wollten zuerst aber Vašek Švéda befreien, der zu dieser Zeit im Krankenhaus in Chotěbuzi sein sollte. Wir waren sicher, dass wir es schaffen würden, doch die Amerikaner hielten uns für verrückt. Wir schlugen vor, uns aus einem Flugzeug über Tschechien abzusetzen, was sie resolut ablehnten. Sie wollten uns über die Grenze bringen, aber damit waren wir wieder nicht einverstanden. Radek und ich hatten schon genug Opfer der sog. „Menschenschmuggler“ gesehen. Leider sind wir damals zu keiner Einigung gelangt. Innerhalb weniger Tage meldeten wir uns in Mannheim bei der amerikanischen Armee, legten den Eid ab und fuhren mit meinem Bruder per Schiff nach Amerika. Da wir beide recht gut Englisch sprachen, gingen wir direkt nach Fort Dix zur Ausbildung, Milan musste zuvor noch einen Sprachkurs absolvieren. 

Die Hauptrollen im Film „Die Brüder“ spielen Oskar Hess als Jan Mašín und Jan Nedbal als sein äterer Bruder Ctirad Mašín. Foto: Zuzana Panská

Kommen wir aber zurück zum Film Die Brüder

Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber das Drehbuch wurde allem Anschein nach von einem guten Drehbuchautor, Marek Epstein, geschrieben. Die Autoren und den Regisseur Tomáš Mašín habe ich zweimal nach Uckro und Waldow mitgenommen. Trotzdem sieht es zum Teil leider so aus, als hätten wir das damals als Jungs zum Spaß gemacht. Nur wenige Menschen, wie beispielsweise der Historiker Pavel Žáček, nehmen unsere Vergangenheit ernst.

Sie leben seit langem in den Vereinigten Staaten, Sie und Ihre Frau sprechen Englisch. Gibt es bei Ihnen zu Hause immer noch etwas Deutsches? 

Ich mag deutsches Essen, vor allem Bockwurst. Wenn ich in Köln bin, fahre ich nach München und gehe zu den Franziskanern. Dort esse ich Leberknödelsuppe, Spanferkel und manchmal haben sie sogar Lendenbraten.

Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen beste Gesundheit!

Dieser Artikel erschien in der fünfte Ausgabe des Printmagazins N&N Czech-German Bookmag

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